Update: Ist eine wegen Trunkenheit vorbestrafte Kirchenvorsitzende tragbar?

Rat der EKD spricht Käßmann das Vertrauen aus

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Margot Käßmann, die streitbare Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, ist von der Polizei erwischt worden, weil sie des Samstags Nachts eine rote Ampel in ihrem Dienstwagen, einem VW-Phaeton-Luxusschlitten, überfahren hat. 1,54 Promille Alkohol wurde in ihrem Blut nachgewiesen. Damit ist die Pfarrerin schwer trunken gewesen und hat sich gemeingefährlich im Straßenverkehr verhalten. Sie wird vermutlich das erste Kirchenoberhaupt sein, das sich wegen Trunkenheit strafbar gemacht hat. Auf Käßmann wartet eine hohe Geldstrafe, möglich wäre auch eine Haftstrafe, aber damit ist nicht zu rechnen. Der Führerschein ist weg. Und das Ansehen der moralisch strengen Pfarrerin dürfte schwer angeschlagen sein.

Noch berät die EKD was sie mit ihrer Vorsitzenden machen will, ob es eine Rüge gibt oder gar ob sie zurücktreten muss. Zwar ist das Christentum auch in der religiösen Praxis eng mit dem Weintrinken verbunden. Das christliche Abendmahl ist ohne das süffige Blut Gottes nicht wirklich denkbar, auch wenn der Wein von manchen Protestanten durch Traubensaft ersetzt wurde oder in der katholischen Kirche nur noch der Priester am Kelch nippt. Klöster haben sich früher hervorgetan, dass sie in Mengen Bier und Wein erzeugt – und wahrscheinlich auch getrunken haben, zumal in der Fastenzeit. Die Kirche hat jedenfalls in ihrer Geschichte viel dazu beigetragen, dass sich Alkohol durchgesetzt hat und kulturell als Rauschdroge akzeptiert wurde. Möglicherweise waren auch katholische Priester gerne ein wenig alkoholisiert, wenn sie ihren sexuellen Gelüsten nachgingen, die ihnen trotz verordnetem Zölibat nicht ausgetrieben werden konnten. Nun also hat die katholische Kirche ein – weitaus schlimmeres – Problem mit den sexuellen Ausschweifungen ihrer Priester und Mönche, während die evangelische Kirche mit dem Laster der Trunkenheit zu kämpfen hat.

Was man einem katholischen Priester beim Alkoholkonsum vielleicht eher nachsehen würde, zumal das durch Beichte auch leicht ad acta zu legen wäre, ist bei den strengen Protestanten schon sehr viel heikler. Protestanten in den USA verordnen ihren Gläubigen nicht nur Gott gefällige Halleluja-Diäten, sondern erklären auch, was gar nicht zu sich genommen werden soll. An erster Stelle ist dies Alkohol. Und auch die evangelische Kirche in Deutschland empfiehlt just zur Fastenzeit bis Ostern ein enthaltsames Leben (wobei vermutlich die Fastenzeit ebenso wie viele andere religiöse Vorschriften nur noch eine nostalgische Tradition sein dürfte). Trotzdem wurde nach dem Fasching wieder eine evangelische Fastenaktion ausgerufen:

"7 Wochen Ohne" - das haben sich rund zwei Millionen Menschen in Deutschland für die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag vorgenommen, viele von ihnen verzichten deshalb bis zum Osterfest auf Süßigkeiten, Alkohol und Nikotin, aber auch auf Fernsehkonsum und Computerspiele. Gleichzeitig sinnen sie darüber nach, was durch das Leben trägt."

Aber es geht auch nicht darum, ob ein hoher Kirchenvertreter privat und zur Fastenzeit ein wenig zu tief ins Glas geschaut hat. Das würde normalerweise auch gar nicht an die Öffentlichkeit kommen und nur eiserne Moralisten stören. Dass Frau Käßmann aber so dumm war und betrunken noch mit dem Auto fuhr, wobei sie einen Unfall riskierte, mag zwar vielen wie Steuerhinterziehung als Kavalierdelikt erscheinen, wenn es sie selbst betrifft, ist aber für eine Person in dieser Stellung kaum zu entschuldigen. Vermutlich wird man sie nötigen, den Ratsvorsitz aufzugeben und kurz nach Antritt ihres Amtes wieder zurückzutreten. Arbeitsrechtlich ist sie wohl nicht zu sanktionieren, weil sie ja privat unterwegs war, aber auch mit Reue und Einsicht sollte Käßmann, die immer für Wahrhaftigkeit eingetreten ist, für eine Organisation, die wie die Kirchen schon seit längerem an Glaubwürdigkeit verlieren und trotzdem gerne als Bewahrer der Kultur und der Moral auftreten, nicht zu halten sein. Oder wird sie als Sünderin in der Nachfolge Christi doch in ihrer menschlichen Fehlerhaftigkeit ihr Amt weiterführen dürfen? Es ist ja nicht der erste Bruch in ihrem Leben.

Update: Der Rat der EKD hat nun Käßmann einmütig das Vertrauen ausgesprochen.