Von angetrunkenen Rotzlöffeln, abbrechenden Schlagstöcken und Gewalt durch Polizisten

Außer Kontrolle

Die Zahlen zur Gewalt durch Polizisten in Nordrhein-Westfalen geben Anlass zur Besorgnis. Und ein aktueller Fall zeigt, dass Corpsgeist und Vertuschungspraktiken kein Mythos sind.

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Wenn über nicht notwendige Gewalt durch Polizisten diskutiert wird, fallen die Begriffe Korpsgeist und Vertuschung schnell, doch ebenso schnell wird auch der Ansicht widersprochen, Polizisten würden Verfehlungen wie Körperverletzung decken. Eher selten gibt es tatsächliche Beweise für ein solches Verhalten, so dass diese Kritik oft unwidersprochen bleibt. Ein Fall aus dem Jahr 2010, der derzeit durch eine Aussage des betreffenden Polizisten wieder aktuell wurde, ist insofern erhellend, zeigt er doch, wie auch Vorgesetzte nicht vor Lügen zurückschrecken, sondern wie hier sogar diese Lügen selbst vorschlagen werden, um Straftaten im Dienst zu vertuschen.

Der Polizist, Enrico Z., hatte 2010 bei einer Prügelei eingegriffen. Er habe, so sagte er in seiner Aussage, einen Tunnelblick gehabt, habe eine schwangere Frau am Rande der Prügelei gesehen, helfen wollen und dann letztendlich unnötigerweise auf einen der Kontrahenten eingeschlagen, wobei sein Schlagstock durch die Wucht der Schläge abbrach. Daniel W., das Opfer, das eigentlich nur zwischen der schwangeren Frau sowie dem Mann vermitteln hatte wollen, erlitt zwei Platzwunden und stellte Strafanzeige. Die Situation war insofern von Enrico Z. komplett falsch verstanden worden – Daniel W. wohnte in dem Haus, vor dem die Prügelei stattfand, er wollte in einem Streit schlichten, mehr nicht. Doch Enrico Z. hatte sich nicht weiter über die Situation informiert, bevor er auf Daniel W. losging.

Das Verfahren gegen Enrico Z. wurde jedoch schnell eingestellt, da nicht nur Enrico Z., sondern auch seine acht Kollegen, die zugegen gewesen waren, einhellig aussagten, Enrico Z. sei auf einem Eisstück ausgerutscht und hätte versehentlich beim Hinfallen mit dem Schlagstock getroffen. Die Idee zu dieser Lüge sei, so Enrico Z., von den Kollegen gekommen, der Vorgesetzte habe sie ausdrücklich befürwortet. "Das machen wir schon, da bist du eben gestürzt", hatte der Vorgesetzte Enrico Z. gesagt, als dieser sich hatte selbst anzeigen wollen. Zwei Jahre später legte Enrico Z., obgleich er zunächst bei der gelogenen Version blieb, ein Geständnis ab. Der Richter urteilte mit eher milden Worten, dass das Vertuschen ein "Selbstläufer" gewesen sei, Enrico Z. habe sich dem gruppendynamischen Zwang unterworfen, was verständlich, aber wirklich nicht gut gewesen sei. Zehn Monate Haft auf Bewährung erhielt Enrico Z., dienstrechtliche Konsequenzen für ihn (und auch die Kollegen) stehen noch aus.

Nun kann dies als bedauerlicher Einzelfall gewertet werden, er zeigt jedoch auch auf, wie sehr sich manche Polizisten als Träger des Gewaltmonopols bereits von dem Rechtstaat enfernt haben, den sie verteidigen sollen. Körperverletzung zu vertuschen, Falschaussagen zu leisten und dies auch mit Hilfe des Vorgesetzten, das ist für diejenigen, die bisher Gewalt durch Polizei als nicht auch systematisch ansahen, zumindest augenöffnend. Diese und ähnliche Vorfälle werfen nicht nur ein mehr als schlechtes Licht auf den Polizeiberuf, sie verunsichern auch Menschen, die die Polizei als "Freund und Helfer" ansehen. Denn an wen soll sich jemand wenden, wenn er befürchten muss, dass die herbeigerufene Hilfe gewalttätig wird und die Kollegen dieses Verhalten decken und sogar durch ihre Falschaussage dazu beitragen, dass der Hilfesuchende gleich doppelt zum Opfer wird?

Während die systematische Vertuschung hier ausnahmsweise einmal offen zugegeben wurde, ist dies eher selten so. Doch Berichte über exzessive Gewaltanwendung durch Polizisten sind längst keine Seltenheit mehr – die diversen Verfehlungen der Rosenheimer Polizei sind da nur ein Beispiel von vielen. Erst vor wenigen Tagen wurde der Rosenheimer Polizeichef zu elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, da er einen 15_Jährigen geschlagen und getreten hatte. Das Opfer erlitt nicht nur Platzwunden im Gesicht, es wurde weiterhin ein abgebrochener Vorderzahn konstatiert.

Der Polizeichef hatte zwar zugegeben, dass ihm der "angetrunkene Rotzlöffel" auf die Nerven gegangen sei, weshalb er ihm eine Ohrfeige gegeben sowie ihn geschubst hätte, die Verletzungen hätte der Junge sich jedoch zugezogen, als er durch einen Schubs des Polizeichefs gestürzt und gegen eine Wand geprallt sei. Der Richter sah dagegen die Schilderung des Jungen als richtig und bewiesen an, in der der Polizeichef den Jungen gegen die Wand gestoßen hatte. Mit elf Monaten auf Bewährung kam der Polizeichef gut davon – er kann seinen Beamtenstatus behalten.

Dies sind nur zwei Fälle, in denen Polizisten selbst die Gefahr darstellen, es gibt sie jedoch in großen Mengen. Gerade auch auf Demonstrationen kommt es oft zu Gewalt durch Polizisten, doch gerade auch auf Demonstrationen sollen Polizisten, geht es nach dem Willen der Polizei selbst, weiterhin keine Namensschilder tragen, so dass es schwierig ist, die Verantwortlichen zu benennen, zumal diese oft die Herausgabe der Dienstnummer verweigern. Die Polizei wie auch ihre Gewerkschaft täten gut daran, lückenlose Aufklärung zu fordern und sich für eine konsequente Verfolgung von Strafanzeigen einzusetzen, um die "faulen Äpfel" auszusortieren, die nicht zuletzt auch dafür verantwortlich sind, dass der Polizeiberuf weiter in Verruf gerät. Doch leider ist in dieser Hinsicht nichts zu hören, stattdessen beklagen die Polizeigewerkschaften in regelmäßiger Folge das sinkende Ansehen der Polizei sowie die Respektlosigkeit ihr gegenüber, ohne jedoch einmal Ursachenforschung zu betreiben.