Weiter Luftangriffe in Afghanistan, damit "Hände frei bleiben"

Auch nach dem angeblich schlimmsten Luftangriff seit 2001, was die Zahl ziviler Opfer unter Afghanen betrifft, bleibt die US-Regierung ihren Ritualen treu

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Laut Al Jazeera war der US-Luftangriff auf ein Dorf in der afghanischen Farah Provinz möglicherweise für Zivilisten der schlimmste seit der Invasion der westlichen Truppen im Herbst 2001. Dorfbewohner im Videobericht des TV-Senders beklagen über 100 getötete Zivilisten. Ein Mitglied des Provinzrates in Farah hatte am vergangenen Mittwoch sogar von über 150 Toten gesprochen - ohne auf die Zahl getöteter Zivilisten genau einzugehen; als sicher gilt, dass sich auch Helfer des Roten Halbmonds unter den Toten befinden. Am Donnerstag kam es in Farah-Stadt zu Ausschreitungen wegen dieses Luftangriffes.

Bei einem Interview für den amerikanischen Fernsehsender NBC reagierte der afghanische Präsident Karsai, der vergangene Woche zu Besuch in den USA war, mit den Worten: "Unsere Dörfer sind nicht die Orte, wo die Terroristen sind, Und das sagen wir auch der US-Regierung [...] Zivile Opfer untergraben die Unterstützung des afghanischen Volkes für den Krieg gegen den Terrorismus und unsere Beziehung zu Amerika. [...] Das Volk steht noch immer hinter uns. Aber es gibt eine Grenze."

Wie wenig ernst seine Worte in der amerikanischen Führung genommen werden, zeigt ein Bericht der new York Times. Der nationale Sicherheitsberater des Präsidenten Obama, General James L. Jones , von der Washington Post im Februar "als Befürworter eines außerhalb von Kampfzonen - auch in 'Zusammenarbeit mit der Öl- und Gasindustrie' - 'vorbeugend tätigen Militärs' charakterisiert", konterte die mahnenden Worte Karsais lakonisch damit, der afghanische Präsident wisse, dass es wenig wahrscheinlich sei, dass man die Luftangriffe stoppen würde.

"Ich bin davon überzeugt, er versteht, dass wir über die komplette Ausstattung unserer militärischen Offensivkraft verfügen müssen, wenn wir sie brauchen."

In den weiteren Zitaten, die von der New York Times als Reaktion auf die "scharfe Kritik Karsais" übermittelt werden, begründet der Sicherheitsberater Jones in Hardliner-Manier die Notwendigkeit von Luftangriffen damit, dass "wir nicht kämpfen können, wenn wir eine Hand an unserem Rücken gefesselt haben."

Unter Präsident Bush hieß das entsprechende gerne gebrauchte Topos der für die Sicherheit verantwortlichen Militärs noch, dass man die "Samthandschuhe ausziehen" müsse. Jetzt sind sie schon längst ausgezogen. Manche Rituale verändern sich nur geringfügig. So entschuldigten sich US-Vertreter, darunter auch Außenministerin Clinton, für die Toten bei dem Luftangriff vergangener Woche, hielten aber die Angaben, die von über 100 Toten ausgehen, für "weit übertrieben" und verwiesen darauf, dass die anvisierten Taliban Zivilisten als menschliche Schilde missbraucht hätten.

Auch wird im Zusammenhang mit Karsai immer wieder von der Korruption des Landes gesprochen, die Unmengen der westlichen Hilfsgelder versichern läßt - der Hinweis auf Verwicklungen ins Drogengeschäft, was auch die USA nicht gut aussehen ließe, an dem unzählige afghanische Regierungsmitglieder gut verdienen und nach vielen Aussagen auch der Bruder Karsais, wird dagegen nur von den mutigeren Stimmen der US-Medien erwähnt.