Wenn das "Sozialwerk" Wohnblocks besetzt

In Spanien werden aus vielen ehemaligen Wohnungs-Besitzern nun Wohnungs-Besetzer

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Immer mehr Familien in Spanien greifen zur Selbsthilfe. An diesem sonnigen Wochenende sind die ersten Familien in einen Wohnblock eingezogen, den hunderte Aktivisten der "Plattform der Hypothekengeschädigten" (PAH) Mitte April im katalanischen Sabadell besetzt haben. "Es war ein unglaubliches Fest und wir haben vor lauter Freude getanzt", erklären Nabila und Rafik Kchikeche. Mit ihren drei Kindern war es die erste Familie, die in das Gebäude mit 40 Wohnungen in der Stadt am Rand der katalanischen Metropole Barcelona einzog. Seit der Errichtung vor vier Jahren haben sich bisher in der Straße Sant Ferran am Rand der Innenstadt nur Spinnen getummelt.

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Vom "Sozialwerk der PAH" wurden wegen der Dringlichkeit auch Felipe, seine Frau und ihre drei Kinder ausgewählt. Acht Familien, die keine Chancen mehr haben, eine Sozialwohnung zu erhalten, wurden bisher für das Gebäude bestimmt. "In den nächsten Tagen werden weitere Familien folgen", erklärt die PAH-Aktivistin Emma Giné. Die Entscheidung, wer einziehen darf, fällt auf dem wöchentlichen PAH-Plenum. Hier beraten die Hypothekengeschädigten und planen neue Aktionen. Wöchentlich melde sich gut ein Dutzend Familien, die eine Wohnung benötigten. Oft würden sie von überforderten Beschäftigten im Sozialamt an die PAH verwiesen.

Ein wirkliches "Sozialwerk" gibt es nicht. Der Name spielt ironisch auf die Unfähigkeit der Behörden an, wohnungslosen Familien eine bezahlbare Wohnung anzubieten. Angespielt wird auch auf die "Sozialwerke" der Sparkassen, die einen Teil ihrer Gewinne in soziale und kulturelle Aktivitäten investieren müssen. Gewinne macht die "Banco Mare Nostrum" (BMN) aber längst nicht mehr, der das Gebäude gehört. Sie entstand 2010 aus der Fusion von vier Sparkassen, die sich in der Immobilienblase verspekulierten und mit Steuermilliarden vor der Pleite gerettet wurden. Der Staat ist Mehrheitsaktionär der BMN. Das besetzte Gebäude wurde zudem in die staatliche Bad Bank (Sareb) übertragen, in die Finanzinstitute faule Kredite ausgelagert haben, um die Bilanzen aufzuhübschen. Die Wohnungen gehören also längst der Allgemeinheit.

Mit der Besetzung wurden die Finger gleich in mehrere Wunden gelegt. In Sabadell sind schon drei Wohnblöcke besetzt. In einer Erklärung bezeichnen es die Besetzer als "beschämend", dass Banken und Sparkassen Familien aus ihren Wohnungen werfen, die ihre Kredite wegen der extremen Arbeitslosigkeit von durchschnittlich etwa 27 Prozent in Spanien nicht bezahlen können, ihrerseits aber mit Steuergeldern gerettet wurden. Sie "weigern" sich zudem, den Behörden Wohnungen zur Verfügung zu stellen, damit die sie gegen eine Sozialmiete an wohnungslose Familien vermietet werden können. In Spanien wurden seit Beginn der Krise 2007 gut 400.000 Wohnungen geräumt und nach Angaben des Statistikamts stehen knapp 3,5 Millionen Wohnungen leer. Angesichts dieser Situation hat sich Andalusien schon entschlossen, Wohnungen von Banken zu enteignen.

Besetzungen stoßen auf viel Sympathie, sogar im Bürgermeisteramt von Sabadell. Die Stadt mit gut 200.000 Einwohnern hat angekündigt, nicht gegen die Besetzer vorzugehen. Die Marokkanerin Nabila bestätigt, man habe es ihnen sogar erlaubt, sich in der neuen Wohnung anzumelden, damit die Kinder weiter in die Schule gehen können. Praktische Hilfe erhalten die Besetzer auch von Nachbarn im Stadtteil, die Möbel, Essen und Kleidung spendeten. Gegenseitige Hilfe sei wichtig, weshalb eine "Unterstützungskommission" gegründet wurde.

Das Leben sei nicht ganz einfach, erklärt Felipe, denn Strom gibt es nicht. Nagelneue Wasch- und Spülmaschinen könnten nicht benutzt werden. Der arbeitslose Bauarbeiter, der in den letzten zwei Jahren drei Monate einen Job hatte und dessen Frau auch arbeitslos ist, sieht auch Positives. "Da wir keinen Fernseher haben, sitzen wir abends zusammen und unterhalten uns." Auf eigene Faust hatte er, nachdem er seine Wohnung verlor, schon einmal eine Wohnung besetzt, wurde aber schnell wieder geräumt. Dieses Schicksal droht ihm nun erneut, da die Sareb die Räumung im Eilverfahren gestellt hat, über den am Mittwoch verhandelt wird.

Mit den Besetzungen reagiert die PAH darauf, dass ihre Volksinitiative (ILP) von der spanischen Volkspartei (PP) bis zur Unkenntlichkeit entstellt habe. Die PAH zog die Gesetzesinitiative zurück, für die 1,5 Millionen Menschen unterschrieben hatten. Die zentralen Forderungen, dass die Restschulden mit der Übergabe an der Wohnung an die Bank (wie in den USA) beglichen wird und den geräumten Familien eine Wohnung mit einer Sozialmiete zur Verfügung gestellt wird, haben die Konservativen mit ihrer absoluten Mehrheit gegen die Kritik aller Oppositionsparteien gestrichen. Die PAH will den Inhalt der ILP auf der Straße verteidigen und greift nun zur Selbsthilfe, um die Auswirkungen des Zwangsräumungsdramas zu mildern. Der Besetzungs-Kampagne wollen sich die 130 PAH-Ortsgruppen im ganzen Land anschließen. In Katalonien wurden schon sieben Wohnblöcke besetzt.