Wir damals, im Browserkrieg

Neben der Spur

Wenn ich heute in einem Seminar "Mosaic" oder "Netscape" sagen, dann höre ich Antworten wie "Gesundheit". Zeit für eine Simulation

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

1995, Kinder, das waren noch Zeiten, als der Frame in HTML noch als hochkomplexe Sache und als sexy galt. Damals, als Netscape 2.0 Browser wie Mosaic 2.2 ablöste und das böse Wort von der Kompatibilität aufkam, der Schrecken des Webdesigners. Ja, den gab es damals auch schon – fast.

Wir sind ja damals mit blutigen Fingerkuppen an den mühsam gerade einmal an auf 15 Zoll Durchmesser kommenden, strahlenden Röhrenbildschirmen gesessen und haben uns die Nächte bei Downloadraten von 22 Bytes (nix "Kilo") pro Sekunde (Netscape 2.x, T-Online, wenn man Pech hatte) um die Ohren geschlagen. An Online-Videos war gar nicht zu denken, Bilder luden immer nur bis zur Halsregion eines Ausschnitts, deshalb mussten damals spezielle Pornoaufnahmen geschossen werden, in denen die Models in Netzen an der Decke hingen, sonst hätte die Kundschaft gar nichts mitbekommen und ständig nur Himmel auf der Downloadware angetroffen.

Chats waren denkbar, Skype nicht, und es gab ernsthafte Diskussionen, dass eine gute Webpage nur 20k bis 30k haben dürfe. Sag das heute einer mal dem Spiegel. Den gab es damals schon, doch,doch.

Ja, leichte Zeiten waren das nicht, und das bei Onlinekosten von bis zu 5.99,- DM die Stunde. Es war die Hölle.

Und damit man das auch wieder ein wenig miterleben kann, hat jetzt ein Zeitgenosse dankenswerterweise einen Eindruck von all dem Leid wieder hergestellt und eine Browsersimulation für simuliertes OS9, Windows 95 und Linux auf die Beine gestellt. Also eine Browserversion ausgesucht, dann eine Webadresse eingegeben, möglichst noch aus dem Internet Archive eine Zeit aus den 90ern gewählt, in der die Site in der damaligen Form auch schon live war.

Und los. Das Ladetempo stimmt noch ungefähr. Ahhhhh.

Nichts wie Thomas Dolby in den CD-Player (gab es damals schon) und eine Dose Red Bull (gab es auch schon) aufgemacht. Gleich würde man RTL anschalten und Comedy an einem Samstagabend sehen wollen. So sehr fühlt man sich plötzlich zwanzig Jahre zurückgebäumt.

Und wenn man dann noch das NetScaler Netzender anklickt und das dortige Portal wieder sieht, dann bekommt man dieses Komödienstadel-Feeling von damals nicht mehr los: Alles war so irre einfach und übersichtlich, wenn als Special Interest nur das "Wine Festival" mit einem Link zu finden war. Leder ist die Zieladresse auf AOL heute nicht mehr zu finden.

Prost.