"Wir mögen den Krieg nicht, aber wir sind auch nicht weit davon entfernt"

Weitere Granateneinschläge in türkischen Dörfern an der Grenze zu Syrien. Erdogan warnt Syrien davor, die Geduld der Türkei auf die Probe zu stellen. Dabei ist noch immer ungeklärt, wer die Granaten aus Syrien abfeuert

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Die Lage an der türkisch-syrischen Grenze bleibt angespannt. Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu soll heute Morgen in der Grenzprovinz Hatay eine weitere Granate eingeschlagen sein, die türkische Armee habe mit Gegenfeuer auf syrisches Gebiet geantwortet. Aus Idlib, einem syrischen Ort in der Nähe der Grenze würden "heftige Kämpfe" gemeldet. Über Einzelheiten wird aber nicht berichtet. Auch gestern abend wurde ein Granateneinschlag auf der türkischen Seite verzeichnet. Verletzt wurde niemand.

Gestern hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer Ansprache in Istanbul noch einmal die Bereitschaft der Türkei betont, zu militärischen Mitteln zu greifen. Die Zeitung Hurriyet zitiert ihn mit den Worten: "Wir mögen den Krieg nicht, aber wir sind auch nicht weit davon entfernt. Es gibt eine Redewendung, die besagt, dass man sich für den Krieg vorbereiten soll, wenn man den Frieden will. So wird der Krieg zum Schlüssel für den Frieden." An die syrische Regierung richtete er die Warnung, dass sie die Geduld der Türkei nicht strapazieren sollte. Sollte man versuchen, die Abschreckungsfähigkeit der Türkei auf die Probe zu stellen, dann wäre dies "ein fataler Fehler".

Wer für den Granatenbeschuss verantwortlich ist, bleibt ungeklärt. Die syrische Regierung hatte eine Überprüfung angekündigt ( Türkisches Parlament erlaubt Armee militärische Operationen auf syrischem Gebiet). Bislang wurde von Experten, wie zum Beispiel von Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), darauf verwiesen, dass nur syrische Regierungstruppen über solche Waffen verfügen, nicht aber ihre Gegner, die unter dem Banner der Freien Syrischen Armee (FSA) operieren.

Freilich haben solche Hinweise im von Gerüchten, Unterstellungen, Propaganda und Spekulationen angereicherten Informationsaustausch über die Lage in Syrien kaum das Gewicht eines unumstößlichen Fakts, wie eine aktuelle Meldung der syrischen Nachrichtenagentur Sana vor Augen führt.

Dort wird mit Bezug auf eine Zeitung namens "Turkish Yurt Newspaper" (die von Sana schon zuvor zitiert wurde, um Verwicklungen der türkischen Geheimdienste mit "Terroristen" zu belegen) behauptet, dass die Granaten aus Beständen der Nato stammen und mit Hilfe der Türkei an die FSA gerieten. Ein Beweis für die Behauptung steht aber noch aus wie auch eine offizielle Erklärung der Vorfälle seitens der syrischen Regierung.

Ebenfalls bis dato von der syrischen Regierung unkommentiert, bleibt ein Lagebericht, der heute im Guardian zu lesen ist. Dort wird mit Bezug auf türkische Medien behauptet, dass die syrische Regierung einem lange propagierten Wunsch der türkischen Regierung entgegengekommen sei - und eine Art informeller Schutzzone auf syrischem Gebiet eingerichtet habe. Demnach soll Syrien sich dazu bereit erklärt haben, die Armee auf 10 Kilometer Entfernung zur türkischen Grenze zu halten.

Dass sich syrische Truppen von der Grenze entfernt halten, ist nicht unplausibel. Zumal sich im Grenzgebiet militanten Gruppierungen derzeit untereinander bekämpfen. Und manche Grenzposten sind bereits seit längerem geräumt. Dass die Regierung in Damaskus eine solche Erklärung offiziell abgeben würde, ist aber unwahrscheinlich. Stimmen die Informationen des Guardian, so bekämen die Spekulationen darüber, dass der Granatenbeschuss von anderer Seite als von der syrischen Armee stammt, neues Gewicht. Man fragt sich ohnehin, zu welchem militärischem Zweck Granaten auf türkische Dörfer abgefeuert werden - außer um militärische Aktionen der Türkei zu provozieren. Wäre das im Interesse der syrischen Regierung?