Neue Großoffensive gegen den "Hass" im Netz

"Berliner Erklärung" soll Standards für die Strafverfolgung made in Germany setzen sowie die Provider in die Pflicht nehmen.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auf einer gemeinsamen Konferenz wollen die Friedrich-Ebert-Stiftung, das Simon Wiesenthal Center sowie das Bundesministerium der Justiz Anfang nächster Woche blinden Eiferern, Extremisten und Gewaltverherrlichern die Grenzen der Meinungsfreiheit aufzeigen. Zu dem "Dialog" sind allerdings nur Verfechter einer stärkeren Regulierung des Internet und Strafverfolger als Redner eingeladen worden.

Je mehr Nutzer ins Netz strömen, desto größer wird auch die Zahl der Sites mit Inhalten, die zu Gewalt aufrufen, Rassenhass predigen oder Anleitungen zum Bombenbau verbreiten. Zumindest sind dem Bundesamt für Verfassungsschutz im vergangenen Jahr mehr "Hass-Seiten" vor die Maus gekommen als je zuvor. In ihrem im April veröffentlichten Jahresbericht spricht die Behörde von etwa 330 Sites, die extremistische Randgruppen aus dem In- und Ausland zur Organisation und zur Selbstdarstellung nutzen. 1996 wurden erst 32 vergleichbare Angebote gezählt. Präsenz zeigen laut dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Peter Frisch vor allem Skinheads, Neonazis und linksextremistische Autonome.

Das in Los Angeles beheimatete Simon Wiesenthal Center geht sogar von einer sehr viel höheren Zahl an Websites aus, die antisemitisches und allgemein volksverhetzendes Gedankengut verbreiten: Auf seiner CD-Rom "Digital Hate 2001", die Rabbi Abraham Cooper am Montag in Berlin vorstellen wird, sind über 2000 problematische Webangebote gelistet. Auf der Vorjahres-CD prangerte das Zentrum "erst" 1400 extremistische Sites an.

Waren Fanatiker und extremistische Gruppen nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit auf Flugblätter angewiesen, um die Werbetrommel für ihre Ziele zu rühren und Gleichgesinnte anzusprechen, so können sie sich heute ein potentiell weltweites Publikum von über 200 Millionen Surfern mit einer billigen Website erschließen. "Wir erleben diese Sachen inmitten unserer Mainstream-Kultur", empört sich Cooper. Der stellvertretende Dekan des Wiesenthal-Zentrums hält das Web für ein gefundenes Fressen für "blindgläubige Rassisten", das diese selbst gar nicht hätten erfinden können.

Killer aus dem Netz?

Vor dem Einfluss der "Hass-Seiten" warnt auch Jordan Kessler, Sprecher der Anti-Defamation League, die ähnlich wie das jüdische Zentrum oder das Southern Poverty Law Center eine schwarze Liste mit Angeboten führt, auf denen zu Mord und Totschlag aufgerufen wird. Seiner Ansicht nach machten die meisten der im letzten Jahr in den USA für Aufsehen sorgenden Massenmörder - darunter auch die halbwüchsigen Killer, die in Littleton ein Blutbad unter ihren Mitschülern anrichteten - ihre Bekanntschaft mit hasserfüllten Botschaften im Internet. "Die Mörder fanden Wertschätzung und Training für ihre Vorhaben im Netz", glaubt auch Rabbi Cooper.

Das Wiesenthal-Zentrum will daher endlich Mittel und Wege finden, um die gefährlichen Inhalte aus dem Web zu entfernen. In den USA selbst haben die CD-Roms der Einrichtung zwar immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Doch den meisten Amerikanern geht die von der Verfassung verbriefte freie Meinungsäußerung und das unzensierte Spiel der Gedanken über alles. Schon vor anderthalb Jahrhunderten plädierte John Stuart Mill in seinem Essay "Über die Freiheit" für den offenen Kampf der Dogmen, da sich die guten Ideen dabei automatisch gegen die schlechten durchsetzen würden. Bis heute hat sich dieser Ansatz auch bei Politikern und in der Rechtsprechung gehalten.

Selbst die kleinste Einschränkung der Meinungsfreiheit, so vernünftig und notwendig sie auch scheinen mag, ist eine Krebszelle im politischen Organismus.

Paul Levinson, New Yorker Schriftsteller und Publizist

Cooper und seine Rabbis haben nun allerdings hierzulande beim Bundesjustizministerium sowie der Friedrich-Ebert-Stiftung Verbündete in der Schlacht gegen die virtuellen Gewaltprediger gefunden: Am Montag und Dienstag laden die drei Häuser zu einer Konferenz zum Thema "Verbreitung von Hass im Internet" nach Berlin. Gastgeber ist die Friedrich-Ebert-Stiftung. In der Einladung äußern die Einrichtungen ihre "große Sorge" über den "Missbrauch des Internet unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit."

Kommt die Zwangsregistrierung fürs Surfen?

Dass es den Parteien Ernst ist mit der Suche nach Lösungen, zeigt ein Blick in die Rednerliste: Nach der Begrüßung durch Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin wird Bundespräsident Johannes Rau Grußworte an die versammelte Expertenrunde richten und der EU-Kommissar für Justiz und Inneres, Antonio Vitorino, der bereits im Februar in Berlin dem Cybercrime den Krieg erklärt hatte, ins Thema einführen. Der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, Thomas Middelhoff, soll anschließend über das "phänomenale Wachstum des Internet" philosophieren, dabei aber sicher auch auf den Fall "Mein Kampf" zu sprechen kommen: Im vergangenen Herbst hatte Bertelsmann auf besonderen "Wunsch" der Bundesjustizministerin hin den amerikanischen Buchverkäufer Barnes & Noble bitten müssen, das Hitler-Pamphlet aus dem Online-Katalog zu nehmen. Die Gütersloher sind mit 40 Prozent am Webauftritt der amerikanischen Buchkette beteiligt, die das umstrittene Buch aus dem Angebot nahm, obwohl es in den USA frei verkauft werden darf.

Grenzenlose Meinungsfreiheit via Internet ist toll. Wenn Neonazis, Bombenbauer oder Schwerstkriminelle ihre Botschaften via Internet verbreiten, ist das allerdings von Übel.

Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin im Magazin Tomorrow

Es ist zu erwarten, dass der deutsche Eingriff in den internationalen Webhandel die Bundesregierung dazu ermuntert hat, weiterhin kräftig die Festsetzung internationaler Regeln zu befördern. So wird die Tagung zum Hass im Netz mal wieder mit einer "Berliner Erklärung" enden, die der "Verhinderung von Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit über das Internet" dienen soll. Angekündigt ist damit die Vorbereitung eines "internationalen Mindeststandards an Regelungen, auch strafrechtlicher Art, und ein Verhaltenskodex für Internetdienste-Anbieter."

Der zuvor geplante "Dialog" ist größtenteils mit Namen besetzt, die sich in jüngster Zeit für eine deutlich stärkere Regulierung des Cyberspace eingesetzt haben. David Rosenthal etwa wird vermutlich im Panel "Meinungsfreiheit - wo Demokratien Grenzen ziehen" seine im Rahmen einer Untersuchung für die Uno erarbeiteten Forderungen wiederholen: Der Schweizer Rechtsanwalt und Publizist hat sich in dem Bericht für den Aufbau virtueller Schranken im eigentlich grenzenlosen Internet ausgesprochen. Zugriffe europäischer Surfer auf Angebote, die in den USA als "freie Rede" gelten und toleriert werden, können seiner Meinung nach problemlos anhand von Netzwerkkennungen oder mit Hilfe von "digitalen Pässen" verhindert werden. Der Verfasser der Studie weist allerdings selbst darauf hin, dass solche Zugangssperren von totalitären Staaten "und anderen Organisationen missbraucht werden" könnten.

Im selben Panel soll auch Robert Cailiau, der Miterfinder des World Wide Web, seine Meinung sagen. Der Leiter der Webkommunikation beim Genfer Physiklabor Cern hatte sich im November für die Einführung eines verbindlichen "Internet-Führerscheins" für alle Surfer ausgesprochen. Die Registrierung der Nutzer, die der früher noch an die IETF-Formel vom "rough consensus" und "running code" glaubende 52-Jährige in Analogie zur Erteilung eines Nummernschilds fürs Auto fordert, soll die Missbrauchsmöglichkeiten des Netzes eindämmen.

Viel Redezeit für die Strafverfolger, keine für Bürgerrechtler

Aus den USA wurde zudem just Senator Orrin Hatch geladen, der sich im September in einem Hearing zum Thema "Hassverbrechen im Internet" für den Einsatz von Filtern gegen die extremistischen Auswüchse eingesetzt und den Vorschlag gemacht hatte, die Netzprovider stärker in die Pflicht zu nehmen. Im Allgemeinen sind die Provider sowohl nach amerikanischem wie auch nach EU-Recht bisher nicht für Inhalte verantwortlich, zu denen sie ihre Kunden im Netz nur weiterleiten. Hatch will sich nun aber für größere Aufsichtspflichten der Zugangsdienstleister stark machen, da er fürchtet, dass die "Fremden, vor denen wir unsere Kinder immer gewarnt hatten", nun die Anonymität des Internet nutzen würden, um die aufs College zusteuernden "Mittelklasse-Kids" für ihre Machenschaften "zu rekrutieren."

Am Dienstag geht es außerdem über die "gesetzlichen und praktischen Möglichkeiten" der Strafverfolgung im Netz, wo Vertreter des FBI, des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamts sowie des Bundesgerichtshofs zusammen den einzigen Abgesandten der Provider- und Telekommunikationsszene, Michael Rotert von KPNQwest, in die Mangel nehmen werden.

Keine Redezeit während der gesamten Tagung eingeräumt wurde Bürgerrechtsorganisationen und Lobbyvereinigungen wie der Electronic Frontier Foundation oder der American Civil Liberties Union, die sich in der Vergangenheit für freie Kommunikationsrechte im Netz stark gemacht haben. So hatte Tara Lemmy von der EFF jüngst erst klar gemacht, dass es Fanatiker schon lange vor dem Aufkommen des Internet gab. Ihrer Meinung nach wird durch die Hass-Seiten der Diskurs über gesellschaftliche Probleme angeregt, was letztlich zu einer "besseren Gesellschaft" führt.

Alles für die Katz?

Bleibt nur zu hoffen, dass die "Berliner Erklärung" nicht mit einer Schrotflinte auf Spatzen schießt: Der Nonprofit-Organisation HateWatch zufolge, die ähnlich wie das Simon Wiesenthal Center seit Jahren die Entwicklung von extremistischen Angeboten im Web verfolgt und bewusst aus dem Dunkel des Cyberspace an das Licht der Öffentlichkeit bringt, ist die Gefahr, durch Hass im Netz zum Killer zu werden, nämlich keineswegs empirisch nachweisbar.

People who fall for hate sites were already open to hate, whether it appeared on a computer screen, in a leaflet or on a library shelf.

Scott Rosenberg, Redakteur von Salon.com

Laut David Goldman, dem Präsidenten von HateWatch, gibt es zumindest "keinerlei Statistiken", die ein Wachstum der Mitgliederzahlen bei extremistischen Vereinigungen aufgrund des Internet nahelegen würden. Die Gruppen zögen sich sogar aus dem Web zurück, sagte Goldman kürzlich Wired News, "da ihre großen Webseiten nur sehr wenig gebracht haben". Die Aufmerksamkeit, die extremistische Angebote durch CD-Roms wie die vom Wiesenthal-Zentrum erfahren hätten, habe die Arbeit der sonst eher im Geheimen arbeitenden Hass-Clans bereits erschwert.