Wenn Startups Politik machen

Ein Karlsruher Startup brachte die Netzexperten von CDU und SPD erstmals an einem Tisch zum "Streitgespräch" in Berlin zusammen

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YouSmile konfrontierte Jörg Tauss, dem Internet-Beautragten der SPD-Bundestagsfraktion, sowie Thomas Heilmann, den neuen Internet-Sprecher der CDU, mit einem Forderungskatalog nach dem Tenor: "Lasst uns bitte weiter wachsen!" Denn gerade der Finanzminister versteht die Belange der Startups nicht und will dem kleinen Pflänzchen der New Economy in Deutschland den Kopf abhacken.

Das Leben eines Unternehmensgründers in der schnellen Internetbranche ist wirklich kein Zuckerlecken. Da gilt es im Angesicht zahlreicher Konkurrenten, denen der Wind vielleicht eine ähnliche Idee zugetragen hat, mit Tornadogeschwindigkeit ein Business möglichst rasch und möglichst gleich in mehreren Ländern aufzubauen - und dann muss man sich als Millionärsaspirant auch noch mit dem Finanzamt und anderen deutschen Behörden herumärgern. Die Probleme fangen beim eigentlichen Akt der Firmenkonstitution an und hören bei der Finanzierungs- und Mitarbeitersuche noch lange nicht auf, stöhnt Tim Stracke, Mitbegründer des Karlsruher Geschenkeservice www.yousmile.de: "Sie können sich gar nicht vorstellen, welcher bürokratische Aufwand nötig ist, um eine AG zu gründen." Mehrere Monate hat Stracke und seinen Co-Initiator Sven van den Bergh die Pflichterfüllung gekostet - und "gigantische Anwaltskosten" gleich dazu.

Auch die Anwerbung und Einstellung von Mitarbeitern auf allen Ebenen bereitet Startups Kopfzerbrechen. "Wir brauchen erfahrene Leute fürs Marketing, aber wir können sie nicht bezahlen", erläutert Mischa Reis, der die Geschäftsführung von youSmile übernommen hat. Die Lösung haben amerikanische Startups längst gefunden: Die Angestellten werden am Unternehmen beteiligt und mit Aktienanteilen "bezahlt", die bei einem Börsengang Gold wert sein können. Doch in Deutschland geht die Rechnung nicht auf: "Schon wenn die Mitarbeiter von uns die Optionen erhalten, hält das Finanzamt die Hand auf", beklagt Reis den Wettbewerbsnachteil. Schon mehrere Einstellungspläne seien geplatzt, weil die Umworbenen nicht auch noch "Vorauskasse" an Vater Staat leisten wollten.

Mit dem Finanzamt stehen Junggründer auch noch wegen eines anderen Problems auf Kriegsfuß: Ihre erste Geldspritze erhalten sie oft von Business-Angels, finanzkräftigen Privatleuten, die an die Firmenidee glauben und daher die Scheckbücher zücken und ins Unternehmen einsteigen. Bisher konnten die Angels ihre Firmenanteile später wieder steuerfrei verkaufen, solange die Beteiligung unter zehn Prozent lag. Doch nach Plänen der Bundesregierung soll das Finanzamt nur noch bei einem Prozent die Augen zudrücken und dann zur Kasse bitten. "Das kleine Pflänzchen der Angelszene wird wegbrechen", fürchtet Stracke, der seine ersten Hunderttausender selbst von einem Gründer-Förderer erhalten hat. "Der Finanzminister hackt es ab."

Angesichts all der Schwierigkeiten kam den Chefs von youSmile die Idee, sich doch direkt an die Politiker zu wenden. Ein Ansprechpartner war schnell gefunden: Thomas Heilmann, der erst jüngst von Angela Merkel zum Internet-Sprecher der CDU ernannte Geschäftsführer von Scholz & Friends Berlin, ist an dem Karlsruher Geschenkeversender indirekt selbst beteiligt. Die zu der Werbeagentur gehörende Wagniskapitalfirma Econa hat gerade einen Millionenbetrag in youSmile gesteckt. Um deren Einsprüche aber nicht nur bei der Opposition geltend zu machen, wurde rasch mit Hilfe einer PR-Agentur ein ganzes "Streitgespräch über den politischen Rahmen für E-Commerce und die New Economy" im Berliner Nobelhotel Adlon inszeniert. Als zweiten Kampfhahn neben Heilmann konnten die Jungs von "duLächelst" den unermüdlichen Beauftragten für Neue Medien der SPD-Fraktion, Jörg Tauss, anlocken, dessen Wahlkreis just in ihrer Heimat liegt.

Basisforderung: Keine zusätzlichen Internetgesetze!

Beiden hatten die "Smileys" in Absprache mit dem Verband der deutschen Internetwirtschaft eco sowie zahlreichen Startups einen ganzen Forderungskatalog der Branche mit dem Tenor "Lasst uns nur machen" vorgelegt. "Zusätzliche Internet-Gesetzgebung vermeiden", heißt es dort. Oder: "Die Politik sollte das Primat der Selbstregulierung der Dotcom-Wirtschaft im Rahmen der geltenden Rechtsordnung vermeiden". Konkretere Punkte betreffen die weitere Deregulierung des Telefonmarktes, durch die endlich auch das Monopol des "Ex-Staatscarriers" im Ortstarif gebrochen und die Internet-Zugangskosten für die Verbraucher gesenkt werden sollten. Auch um den Zukunftsmarkt des M-Commerce machen sich die Startups bereits Sorgen: Es gelte, von Anfang an einen fairen Wettbewerb aller Diensteanbieter zu garantieren. Die Lizenzversteigerungen für UMTS, von denen sich die Bundesregierung Milliardeneinnahmen verspricht, liefen allerdings eher auf die Schaffung eines Oligopols der Netzbetreiber hinaus.

Seltsamerweise auf der Liste etwas nach unten gerutscht ist der Aufruf, die Bezahlung von Beschäftigten mit Stock-Options nicht länger steuerlich "zu bestrafen". "Das ist trotzdem eines unserer Hauptanliegen", stellte Stracke klar. Insgesamt plagt den Gründer die Angst, dass der Standort-Deutschland.com in einem Wust von "absolut perfekten" Gesetzen erstickt, den eine Unzahl von Gremien innerhalb von Regierung und Parlament ausheckt.

Diese Befürchtung hat auch Heilmann. Bei einer vom britischen Premier Tony Blair erstellten Benchmark-Studie über Nationen auf dem Weg ins Informationszeitalter sei Deutschland "nur bei der Telekommunikations-Infrastruktur top". Wie auch das Beispiel des Aufkaufs von Ricardo.de durch das englische Auktionshaus QXL zeige, spiele sich die eigentliche Wertschöpfung immer mehr in London und nicht in Berlin, Hamburg oder München ab. "Die Bundesregierung hat noch nicht ganz begriffen, in welchem Rennen wir momentan sind", kritisiert Heilmann. Das zeige sich vor allem in der mangelnden Beteiligung an den ICANN-Wahlen, im Versagen der Bildungspolitik oder in der ungeklärten Haltung zu den "unpraktikablen" Plänen der EU-Kommission, Mehrwertsteuern auf den E-Commerce erheben zu wollen.

Speed matters - auch in der Politik?

Tauss räumte ein, dass es mit der Geschwindigkeit bei Entscheidungen rund ums Internet noch hapere. Das Thema sei zwar überall in den Ministerien und im Bundeskanzleramt angekommen, bei einzelnen Frage "knirsche es aber noch im Gebälk". Eine "Flut an neuen Gesetzen" werde es sicher nicht geben, eher Gesetze, die gewisse Spezifikationen wie etwa im Bereich des Datenschutzaudits setzten und die Ausfüllung eines solchen Rahmens der Wirtschaft überließen. Einen Rechtsrahmen hätte die Internet-Branche allerdings selbst auch gefordert, und er sei wichtig, um die Klärung offener Fragen - beispielsweise rund ums Teledienstegesetz - nicht den Gerichten zu überlassen.

Angesichts der Probleme im Steuerbereich stellte Tauss klar, dass "die Finanzbeamten unsere größte Sorge sind." In den Finanzämtern sträube man sich "mit allen Haaren" selbst gegen den Verzicht auf die Besteuerung des "geldwerten Vorteils" bei Computerspenden für Schulen. Im Bereich der Steuerfreiheit bei der frühen Finanzierung von Startups durch Business-Angels sei da "ein Prozent" allerdings vom Tisch. Über genaue Beträge werde momentan verhandelt.

Was die Besteuerung von Einkäufen übers Internet angehe, so sei bei der Bundesregierung noch keine Entscheidung gefallen. Bauchschmerzen hat Tauss allerdings bei der Frage, wer das Geld einsammeln solle und wer die Umsätze von Online-Händlern im Netz genau prüfen könne. Bei den Providern dürfte eine solche Überwachung jedenfalls nicht ansetzen, da sonst die Filterdiskussion von vorne begänne. Langfristig seien Steuern im E-Business aber natürlich nicht zu vermeiden. Auch in den USA sei der Netzhandel schließlich nicht generell steuerfrei, sondern nur nicht mit zusätzlichen Steuern belegt worden.

Wer gründet zuerst den ultimativen Startup-Verband?

Das "Streitgespräch" drohte letztlich fast in allgemeiner Harmonie zu enden, da Heilmann zugab, "dass die Zielrichtungen ähnlich sind." Nur beim Tempo, da müsste man wohl noch einen Zahn zulegen. Und die billige Flatrate, die müsste jetzt endlich kommen. Beide Partei-Netzexperten begrüßten zudem die Initiative von youSmile und ihren Startup-Kollegen. "Wir brauchen dringend Ansprechpartner auf der Seite der Wirtschaft, die auch Dampf machen", drehte Tauss den Spieß um, indem er selbst mit den Forderungen anfing. Bisher seien selbst die Kaninchenzüchter besser organisiert gewesen als die Startup-Szene.

Ob sich dort eine einheitliche Stimme herauskristallisieren wird, ist allerdings noch fraglich. Während des Parteienstreitgesprächs wurden gleichzeitig einen Bezirk weiter beim Verbraucherportal Dooyoo die Gespräche zum Aufbau eines Internet-Interessenverbands weitergeführt. Obwohl es den diese Initiative vorantreibenden Startups um fast dieselben Ziele geht wie youSmile und Co., scheint die Verständigung zwischen beiden Lagern bisher mangelhaft. Eine bessere Vernetzung auch innerhalb der eigenen Szene wäre da noch angesagt.