"Die wichtigste Sorge, die derzeit die Franzosen beschäftigt"

Der Halal- und Koscher-Wahlkampf von Sarkozy und Le Pen

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Wahlkampf nicht mit inhaltlichen Vorhaben, sondern auf dem Rücken und auf Kosten von Minderheiten - eine alte Masche, die doch immer wieder verfängt. Dies dachten sich ganz offenkundig Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und einige seiner führenden Gefolgsleute in den letzten Wochen. Nunmehr protestieren sowohl jüdische als auch muslimische Verbände heftig gegen seinen Wahlkampf.

Dieser spitzte sich in den letzten Tagen zunehmend in einer öffentlichen Polemik um Essen nach Halal- oder Koscher-Vorschriften, also muslimischen und jüdischen Speiseanleitungen und entsprechende Schlachtmethoden zu. Am Montag behauptete Sarkozy bei einem Abstecher in Saint-Quentin in der Picardie sogar öffentlich, dieses Thema sei "die wichtigste Sorge, die derzeit die Franzosen beschäftigt" - eine absurde Behauptung, während in Wirklichkeit weitaus eher die Frage nach Arbeitsplätzen und Kaufkraft, also Löhnen und Gehältern, die französische Bevölkerung umtreibt.

Ein gewichtiger Unterschied dürfte dabei freilich darin liegen, dass Sarkozy für die Wirtschafts- und Sozialpolitik der letzten fünf Jahre einen gehörigen Anteil an Verantwortung trägt, für seine Bilanz auf diesem Gebiet aber lieber nicht öffentlich gerade stehen will. Für die Speisevorschriften von Muslimen und Juden hingegen trägt er erst einmal keinerlei Verantwortung.

Le Pen startet mit einer falschen Behauptung

Gestartet hatte die aktuelle Auseinandersetzung die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen. Anlässlich einer zweitägigen Wahlkampfveranstaltung - dem "Präsidentschaftskonvent" ihrer Partei, des Front National (FN) - in Lille am 18./19. Februar hatte sie die Aufmerksamkeit der Medien mit folgender Behauptung erregt: In der Ile-de-France, also im Großraum Paris, seien "100 Prozent des gehandelten Fleischs halal", also nach moslemischen Speisevorschriften, zubereitet. Diese sehen vor, dass das Vieh ausbluten muss, bevor der Tod eintritt, weil sowohl nach muslimischer als auch nach jüdischer Auffassung Todeseintritt vor dem Austritt des Blutes bedeutet, "Aas zu essen".

Daran wurden in der Vergangenheit mitunter tierschützerische Bedenken geäußert, wobei es seitens einiger moslemischer Verbände auch Kompromissvorschläge gab - etwa für eine Betäubung von Schlachttieren, die einen Bewusstseinsverlust, jedoch nicht den Tod vor dem Ausbluten eintreten lassen. Doch die rechtsextreme Politiker Marine Le Pen war nicht in erster Linie auf Belange des Tierschutzes bedacht. Ihr ging es vielmehr darum, das Gefühl von "Überfremdung" zu schüren, indem sie suggerierte, die Franzosen müssten auch unfreiwillig und ohne ihr Wissen halal zubereitetes Fleisch essen - ihnen würden also die für Muslime geltenden Vorschriften aufgezwungen.

Ihre Behauptung stand jedoch auf tönernen Füßen. Denn was die rechtsextreme Politikerin nicht dazu sagte, war, dass zwar alle vier im Raum Paris angesiedelten Schlachthöfe aus Kostengründen das Fleisch für alle Kundenschichten auf dieselbe Weise zubereiten – also nach Halal-Vorschriften schlachten, weil Nichtmuslimen der Verzehr solchen Fleisches ja nicht vom Glauben her verboten ist, umgekehrt aber schon -, dass aber diese vier Schlachthöfe nur einen geringen Teil des Bedarfs decken. Denn der Löwenanteil des Fleischkonsums in Paris und Umland wird aus den darum herum liegenden Regionen eingeführt. Präsident Sarkozy selbst antwortete Ende Februar bei einem Besuch des Großmarkts von Rungis auf Marine Le Pen, "nur 2,5 Prozent des Fleischverbrauchs im Raum Paris" seien halal.

Weitere Falschaussagen..

Auch diese Zahl war übrigens falsch, und Sarkozy irrte: 2,5 Prozent sind vielmehr der Anteil des Fleischkonsums in der Hauptstadtregion, der aus den eigenen Schlachthöfen der Region gedeckt wird. Hingegen beträgt der Anteil von halal geschlachteten Tieren bei den Schweinen - die weder durch Muslime noch durch Juden verspeist werden - 0 Prozent, bei Rindern rund 12 Prozent, bei Hammel dagegen 49 Prozent.

Zu dem Zeitpunkt war Sarkozy selbst der Auffassung, "diese Polemik" sei vollkommen "unnütz". So erklärte er es bei seinem Wahlkampfbesuch in den Markthallen von Rungis. Und Marine Le Pen ihrerseits musste sich Anfang März bei ihrem Abstecher beim Salon de l’agriculture, also auf der Pariser Landwirtschaftsmesse, vor Unternehmern des Fleischsektors rechtfertigen - diese befürchteten, ihnen werde ihr Geschäft verdorben.

...der Rücktritt eines FN-Flieschgroßhändlers...

Eine lustige Note bekam die Sache noch dadurch, dass ein Regionalparlamentarier von Marine Le Pens eigener Partei in Nordfrankreich zurücktreten musste: Er ist Fleischgroßhändler, und es stellte sich heraus, dass er aus Kostengründen selbst alles auf halal umgestellt hatte. Nach diesen lustigen Abschnitten hätte die Polemik auch ganz gut vorüber sein und abklingen können.

...und neues Öl ins Feuer gegossen

Doch dem war nicht so: Ende vergangener Woche wurde sie wieder angefacht. Neues Öl ins Feuer goss Sarkozys rechter Innenminister Claude Guéant, der schon des öfteren als Mann fürs ganz Grobe aufgetreten war und wieder einmal tief in die Kiste mit den Ressentiments griff. Am letzten Freitag rief er öffentlich aus, nun sehe man doch, warum man nicht das kommunale Wahlrecht für seit längerem im Land lebende Ausländer einführen dürfte – dieses war von Nicolas Sarkozy im Jahr 2005 noch befürwortet worden, jetzt macht er Wahlkampf dagegen, während sich die sozialdemokratische Opposition zaghaft dafür ausspricht.

Denn dürften die Einwanderer auf lokaler Ebene votieren, "dann werden die von ihnen mitgewählten Bürgermeister überall in den Kantinen halal-Fleisch vorschreiben", malte der Minister drohend aus.

Und machte damit unmissverständlich klar, worum es in dieser Debatte in Wirklichkeit hauptsächlich ging. Nämlich nicht um Speisevorschriften, sondern darum klarzustellen, wer legitimer Weise in Frankreich zu Hause ist und Vorstellungen vom Zusammenleben äußern darf - und wer nicht. Am folgenden Tag, am letzten Samstag bei einer Großveranstaltung in Bordeaux, schlug Kandidat Sarkozy dann genau in dieselbe Kerbe.

Ausgerechnet sein Premierminister François Fillon, der sonst als eher moderater Politiker im konservativen Lager gilt, spitzte die Sache im weiteren Verlauf des Wochenendes dann noch stärker zu.

"Unglaubliche Stigmatisierung"

Er wandte sich offen gegen jüdische ebenso wie muslimische Gemeinden und ihre traditions ancestrales - ungefähr: "ihre von den alten Ahnen (ancêtres) übernommenen Traditionen" - und fragte sich, "ob diese in einer modernen Gesellschaft" noch "ihren Platz" hätten. Nun kann zwar jeder Privatmensch seine Auffassung, wie immer sie lauten möge, zur Frage religiöser Glaubensinhalte und daraus abgeleiteter Vorschriften haben - als amtierender Regierungschef aber muss der Mann theoretisch ebenso als politischer Vertreter der französischen Juden und Muslime da sein, wie beispielsweise für Christen oder Atheisten.

Nicht nur der Zentralrat der französischen Juden CRIF und der muslimische Dachverband CFCM protestieren seit Montag heftig. Während der sozialdemokratische Politiker Benoît Hamon vor einer "unglaublichen Stigmatisierung der Muslime" warnte, erklärte sich auch ein Vorstandsmitglied der Regierungspartei UMP - Salima Saa - sich "betrübt über die abwertenden Äußerungen" über diese Religionsgemeinschaft. Um das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten, ist es allerdings längst zu spät.