Spanien will Defizitziele beim EU-Gipfel aufweichen

Doch Merkel drängt mit ihrem Fiskalpakt darauf, sich strikt an vereinbarte Defizitziele zu halten

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Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy ist am Donnerstag mit schwerem Gepäck zum EU-Gipfel nach Brüssel gereist. Denn der neue konservative Regierungschef will auf diesem Gipfel darüber diskutieren, die mit Brüssel vereinbarten Defizitziele aufzuweichen. Statt 2012 das Defizit auf 4,4 Prozent zu senken, will er sich ein deutlich höheres Defizit genehmigen lassen. Spanien hatte 2011 die EU-Vorgaben (6%) deutlich verpasst. Das Defizit soll nach Angaben der Regierung bei 8,51 Prozent gelegen haben und damit noch höher als erwartet. Es wurde also 2011 trotz harter Sparmaßnahmen nicht einmal um einen Prozentpunkt gegenüber dem Vorjahr gesenkt, als es noch bei 9,3 Prozent lag.

Auf der Tagesordnung steht das Thema in Brüssel nicht und es kommt Berlin sehr ungelegen, dass Rajoy ausgerechnet jetzt über die Aufweichung der Defizitkriterien verhandeln will. Schließlich unterzeichnen am Freitag 25 der 27 EU-Staaten den Fiskalpakt, den die Bundeskanzlerin Angela Merkel durchgedrückt hatte. Damit soll die Haushaltsdisziplin der Unterzeichnerländer sichergestellt werden. Doch davon ist Madrid weit entfernt, denn Jahr für Jahr werden große Versprechungen gemacht, die dann jeweils verfehlt werden. Entsprechend ist auch im Entwurf für eine Abschlusserklärung schon zu lesen, dass sich die Länder, "die unter der Prüfung der Märkte stehen", strikt an die "vereinbarten Ziele" halten sollen. Die "Haushaltskonsolidierung" sei eine "wesentliche Voraussetzung" dafür, wieder zu "Wachstum und Beschäftigung" zu kommen.

Diese Erklärung liegt ganz auf der Linie Merkels, die in Griechenland und Portugal aber schon in die Depression führt. Rajoy nutzt aber die Tatsache, dass auf diesem Gipfel über Wachstums- und Beschäftigungsförderung gesprochen wird, worüber beim letzten EU-Gipfel nur heiße Luft abgesondert wurde. Er knüpft an die Worte von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso an. Der hat vor dem Gipfel bekräftigt: "Europa wird nicht nur mit fiskaler Stabilität gebaut, sondern auch mit Wachstum." Und gerade hat die Kommission die Wachstumsprognose für die Iberer deutlich nach unten korrigiert. Ging man im Herbst noch davon aus, dass Spaniens Wirtschaft 2012 um 0,7 Prozent wächst, rechnet man nun damit, dass sie um ein Prozent schrumpfen wird.

Entsprechend verhält sich der Arbeitsmarkt. Am Donnerstag hat die europäische Statistikbehörde neue Arbeitsmarktzahlen vorgelegt. Demnach ist die Arbeitslosenquote in Spanien schon im Januar auf den neuen Rekordwert von 23,3 Prozent gewachsen. Abgeschlagen liegt das Land dabei sogar noch deutlich vor Griechenland. Rajoy drängt in Brüssel deshalb darauf, vor allem mit Programmen der Jugendarbeitslosigkeit zu begegnen. 49,9 Prozent aller jungen Menschen unter 25 sind schon arbeitslos.

Zunächst will Spanien aber nur kleine Brötchen bei der Aufweichung des Defizitziels backen. Dass dort derzeit wenig Spielraum besteht, weiß auch Rajoy. In Brüssel ist man zunehmend verärgert darüber, dass er nicht einmal den Haushalt für 2012 vorgelegt hat. Deshalb zeigen sich Barroso und der Währungskommissar Olli Rehn unnachgiebig. Barroso erklärte: "Ich vertraue darauf, dass sich der Haushalt sich vollständig am Fiskalpakt orientiert." Rehn erinnerte Rajoy an sein Versprechen, "den Haushalt im März zu verabschieden". Erst danach könnten neue Entscheidungen fallen, weil auch damit feststeht, ob das Defizit 2011 nicht sogar noch höher ausgefallen ist.

Der spanische Außenminister José Manuel García-Margallo erklärte deshalb vor Rajoys Abreise, man versuche Brüssel "Zehntel" abzuringen, denn dabei geht um Milliarden. Will Spanien das hohe Defizit auf 4,4 Prozent senken, müssten im Haushalt erneut mehr als 40 Milliarden Euro eingespart werden. Bisherige harte Sparmaßnahmen, gegen die sich in allen Sektoren starker Widerstand zeigt, belaufen sich bisher aber nur auf 16,5 Milliarden Euro. Rajoy will neue tiefe Einschnitte aber nicht vor den Regionalwahlen am 25. März in Andalusien und Asturien vornehmen und versucht, seinen Erfolg dort noch einmal mit den gleichen Mitteln zu wiederholen.

Seine konservative Volkspartei (PP) hat sich zum Ziel gesetzt, den oppositionellen Sozialisten (PSOE) auch in der letzten Hochburg die Macht zu nehmen. Neue Einschnitte ins Sozialsystem und eine Mehrwertsteuererhöhung könnten das Blatt für die PP wenden, die bisher in den Prognosen als klarer Sieger gehandelt wird. An einer erneuten Mehrwertsteuererhöhung kommt Rajoy aber nicht vorbei, weil er nicht nur sparen kann, sondern auch die Einnahmen verbessern muss, wenn er die Verpflichtungen gegenüber der EU auch nur annäherungsweise erfüllen will. Da er gegen alle Wahlversprechen nach dem Wahlsieg im November bereits die Einkommenssteuer und Grundsteuer deutlich erhöht hat, bleibt ihm als große Einnahmequelle nur noch die Mehrwertsteuer. Die ist in Spanien mit 18 Prozent vergleichsweise niedrig. Beim französischen Nachbarn beträgt sie 19,6 Prozent und soll erhöht werden und im angeschlagenen Portugal liegt sie schon bei 23 Prozent. Eine Erhöhung im Haushalt zu veranschlagen, wäre vor den Wahlen in der Armutsregion Andalusien besonders unpopulär. Denn die Bezieher geringer Einkommen werden von einer Anhebung der Mehrwertsteuer besonders hart getroffen.