Der Aufstand des Gesindels und Gaddafis Rache

Neue von der Angst vor Überfremdung inspirierte Plakataktionen der Schweizer Volkspartei SVP und die Angst vor Reaktionen darauf

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Die berüchtigten Plakatpropagandisten der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei (SVP) - siehe "Die weißen und die schwarzen Schafe" - rühren erneut im schmutzigen Topf der Angstmache vor Überfremdung und erregen damit in der Schweiz Aufsehen und Angst vor Gaddafis Rache und im französischen Hochsavoyen den Ärger des Bürgermeisters von Annemasse, Christian Dupessey.

Die Kampagne gegen Pendler aus Frankreich

Dupessey will die Verantwortlichen der SVP wegen Anstiftung zu "rassistischen Hass" vor ein französisches Gericht bringen. Weil der Präsident der kantonalen SVP, Soli Pardo, eine Anzeige in einer französischsprachigen Genfer Zeitung schalten ließ, wo man auf einer halben Seite in Großbuchstaben lesen kann, was die SVP (französisch UDC) von den Pendlern aus dem Nachbarland hält: "Ein neues Verkehrsmittel für das Gesindel aus Annemasse!". Auch die übrigen Sätze der Anzeige sind unverblümt unverschämt: "Werfen wir die kriminellen Ausländer raus! Lasst uns ihnen nicht noch einen Zugang nach Genf öffnen!"

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Über 80.000 Pendler bewegen sich täglich im Grenzgebiet von Genf. Die dortige Wirtschaft benötigt die Arbeitskraft der Pendler. Genf hat, rechnet die Basler Zeitung vor, "ungefähr 60.000 mehr Arbeitsplätze als Bewohner im erwerbsfähigen Alter". Uhrenfirmen und Krankenhäuser seien besonders auf die "Grenzgänger" angewiesen.

Mit CEVA ist die neue S-Bahn gemeint, seit 2008 im Bau, ein 950 Millionen Franken teures Projekt, das die Pendler zum Umsteigen aufs Gleis bringen soll. Immerhin wird mit der neuen Linie die Fahrzeit von Genf nach Annemasse, ca. 14 Kilometer, halbiert - "von 33 Minuten mit mehrmaligem Umsteigen auf 17 Minuten ohne Umsteigen". Seit mehreren Jahren versuchen rechte Gruppierungen in Genf die Pendler als Sündenböcke darzustellen, so die Basler Zeitung, jetzt ködert Soli Pardo Wähler vom rechten Rand für die anstehenden Grossratswahlen.

Dessen Solo ist allerdings selbst in der SVP nicht unumstritten, wo man sich mittlerweile um seriöses Auftreten bemüht. Ein Abgeordneter der Partei, Nationalrat Nidegger, deutete an, dass man Pardo fristlos entlassen würde, wenn da nicht die Parteistatuten wären, die es nicht erlauben, ob einer wie Steinbrück ein solches Schweizer Versteck akzeptieren würde? Immerhin, und damit scheint es Nidegger ernst, bezeichnet der Nationalrat die Formulierungen in der Zeitungsanzeige als "größte Dummheit". Die größte Dummheit noch zu vergrößern, suchte dann Pardo mit der Formulierung, mit der er die Worte in der Zeitungsannonce schließlich rechtfertigen wollte: Das sei keine Provokation, behauptete er gegenüber der Zeitung Le Matin. Man habe das Wort "Racaille" (Gesindel) verwendet, "weil es jedermann versteht".

Die Kampagne gegen Muslime in der Schweiz

Das zweite anrüchige Plakat der SVP könnte für größeren Ärger sorgen. Nach Meinung eines Schweizer Journalisten und Nahostexperten, der sich in der Boulevardzeitung Blick äußerte, ist die Aufmachung des Plakates, das einen "Stopp" zum Bau von Minaretten in der Schweiz propagiert, eine mögliche "Steilvorlage" für solche, die der Schweiz übel wollen.

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Dabei denkt Nahostexperte Erich Gysling vor allem an Gaddafi, mit dem die Schweiz zuletzt einen grotesken Streit ausfocht, der von bizarren Drohungen Gaddafis aufgepimpt wurde: "Die Schweiz muss zerschlagen und auf ihre Nachbarländer aufgeteilt werden." Doch harren der Schweiz als mögliche Konsequenz des Plakates noch ganz andere Gefahren, Gysling mochte Blick gegenüber "brennende Schweizer Flaggen und brennende Schweizer Botschaften in der arabischen Welt" nicht ausschließen.

Das SVP-Plakat zur Volksabstimmung am 29. November ist mittlerweile in einigen Städten verboten, etwa in Basel und Lausanne. In Genf dürfen sie weiter aushängen. Zürich, Winterthur, Bern und Luzern wollten ihre Entscheidung am heutigen Donnerstag treffen und sie von der Stellungnahme der Rassismuskommission abhängig machen. Die Kommission tagte gestern, entschied sich aber nicht für ein Verbot. Zwar, so die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR), nähre das Plakat Vorurteile und diffamiere die "friedliche muslimische Schweizer Bevölkerung" und habe "das Potenzial, den öffentlichen Frieden zu gefährden", aber strafrechtlich sei es nicht verboten. Daher empfehle man den Städte in diesem Fall eine Güterabwägung zwischen "Meinungsfreiheit, Diskriminierungsschutz und dem Schutz der schweizerischen Gesellschaft vor Hass fördernder Agitation".

Das von der SVP und der EDU (Eidgenössisch-Demokratische Union) initiierte Volksbegehren will den Art. 72 der Schweizer Bundesverfassung um den Satz "Der Bau von Minaretten ist verboten" ergänzen.