Haben die Männer abgewirtschaftet?

In der neuen Ausgabe des Philosophie Magazins wird der Frage nachgegangen, ob die Frauen moralischer als die Männer sind und sich die Moral feminisiert hat

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Sind Frauen moralischer als Männer? Das wird im Dossier des Philosophie Magazins gefragt, dessen dritte Ausgabe morgen erscheinen wird. Man hätte natürlich provokanter auch gleich fragen können, ob Frauen besser sind. Gleichwohl stehen die Männer mitsamt der ihnen zugeschriebenen oder von ihnen aufrechterhaltenen Kultur unter Druck, was auch durch verzweifelte Gegenangriffe von Männern belegt wird, die sich von der neuen Dominanz der Frauen unterdrückt sehen - und was vermutlich auch den Gang in die fundamentalistischeren Versionen der Religionen, gleich ob christlicher oder muslimischer Art, mit antreibt. Sind doch die monotheistischen Religionen Männerreligionen.

Allerdings haben, was sich aus den "Top Ten der sexistischen Philosophen" erkennen lässt, auch die Männer der griechischen Antike, also dem anderen Bein unserer so gerne von Konservativen beschworenen "christlich-abendländischen Kultur", nicht so viel von der Ebenbürtigkeit der Frauen gehalten. Aristoteles beispielsweise: "Das Weibchen ist nämlich ein verstümmeltes Männchen." Kant meinte etwa, dass "mühsames Lernen oder peinliches Grübeln" die Reize der Frauen schwächen, Hegel setzte Männer mit Tieren und Frauen mit Pflanzen in Analogie. Hingewiesen wird allerdings auch die "Ehrenretter", aber natürlich erfährt man aus solchen Zitatschnipseln nicht so viel.

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Eigentlich geht der einleitende Artikel von Svenja Flaßpöhler, der stellvertretenden Chefredakteurin, beherzt los: "Der Mann ist das problematische Individuum des 21. Jahrhunderts. Frauen sind gebildeter, sozial kompetenter, fürsorglicher und weniger aggressiv. Empathie, Kooperation, Kommunikation: Sogenannte weibliche Eigenschaften sind gefragt wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Steuern wir auf ein feminines Zeitalter zu?"

Aber danach vermisst man im Gang durch einige scheinbare neurowissenschaftliche Erkenntnisse über die Verschiedenheit der Gehirne und der Vorstellung von Simone Beauvoirs Kritik an der gesellschaftlichen Konstruktion der Frau als "das Andere" und Judith Butlers Abwendung von der biologischen Verankerung der Geschlechtsidentität allerdings eine wirkliche eigene These. Leider macht Flaßpöhler nicht einmal den Versuch zu denken, wie denn eine neue Position aussehen könnte, in der die "gewissen Dispositionen" von Frauen und Männern so formuliert werden könnten, dass man nicht in "alte Denkmuster" zurückfällt.

Sybillinisch oder nur in Form eines Versprechens heißt es: "Die Kunst wird darin bestehen, Männern und Frauen eine spezifische Potenz zuzugestehen, ohne ihr Verhältnis abermals zu hierarchisieren." Flaßpöhler will also an der Gleichheit trotz Verschiedenheit festhalten, besser, überlegener oder was auch immer, soll keines der Geschlechter sein. Allerdings werden die Zwischengeschlechter oder intersexuellen Menschen, die es auch schon biologisch gibt, und die transsexuellen Menschen gar nicht mal erwähnt.

Interessanter ist da der Schlagabtausch zwischen dem Theologen und Psychoanalytiker Eugen Drewermann und der Münchner Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken. Hier prallen traditionelles Denken über Geschlechtsverhältnisse, die Drewermann als natürliche Tatsachen begreift, und der Versuch, auf vermeintliche Wahrheiten wie die direkte Erkenntnis des Natürlichen zu verzichten: "Die Art, wie man Mann oder Frau wird, hat mit dem sogenannten natürlichen Geschlecht nur sehr vermittelt etwas zu tun. In homosexuellen Beziehungen kann ein Partner zum Beispiel die Frauenrolle einnehmen und der andere die männliche Rolle. Der Fetischismus, der vielleicht sogar der Kern jeglicher Sexualität ist, zeigt uns, dass Menschen in ihrer Sexualität symbolisch und nicht "natürlich" funktionieren." Ob Frauen nun moralisch besser sind, klären auch die beiden nicht. Schön aber ist zu sehen, wie Drewermann aus der Naturverhaftung heraus die Folgen der Triebunterdrückung durch die Religion kritisch herausstreicht, während Vinken aus der Keuschheit etwa einer Teresa von Avila "höchste Kunst" und "einzigartig Schöne" hervorgehen sieht: "eine Kultur nicht der Befriedigung, sondern des Begehrens, eine Kultur der absoluten Liebe".

Während Chefredakteur Wolfram Eilenberger die perfide Strategie aufdecken will, dass nun bis in die Managementtheorie hinein die vermeintlich weiblichen Tugenden beschworen werden und die neuen Medien "weibliche Handlungsprofile" erfordern würden, dies aber den Frauen nichts hilft, sondern nur das System aufrechterhalten wird, gibt immerhin die amerikanische Politologin Joan Tronto, die eine "Ethik der Fürsorge" ausarbeitet und damit für die weibliche Moralperspektive steht, eine bisschen eine Antwort auf die Frage des Dossiers. Frauen würden eher der Ethik der Fürsorge anhängen, Männer der der Gerechtigkeit.