Pädos, Indianerkommune und noch eine grüne Vergangenheitsdebatte

Die Konservativen aller Parteien hoffen, dass sie mit diesem Thema die Grünen in Bedrängnis bringen können, und die Grünen zeigen kein Interesse daran darzulegen, warum sich Initiativen für die Entkriminalisierung von Kindersexualität einsetzten

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Taz-Redakteur Jan Feddersen bewegte sich in einem Artikel am Dienstag inhaltlich und sprachlich ganz in den frühen 1980er Jahren, als er als grüner Basisaktivist für die Rechte von Schwulen stritt und es sich dabei nicht vermeiden ließ, Menschen zu begegnen, die für die Entkriminalisierung von Sex mit Kindern und Jugendlichen eintraten. Da fällt Feddersen gleich in einen Sprachduktus der alternativen und grünen Bewegung, die alles im Ungefähren lässt, viele Emotionen einbaut und sich um jede Aussage drückt. So schreibt Feddersen über das Verhältnis von Schwulen- und Pädophilieaktivisten:

"In Karlsruhe, als die Indianerkommunarden die Versammlung mit ihrer zelebrierten Hysterie erpressten, war das Homoding so randständig, trotzdem selbstverständlich mit im Spiel. Aber Pädo? Unter den schwulen Politikinteressierten aus der alternativen und linken Szene gab es meist kein besonders lobbyistisches Interesse, dem Werben von Pädogruppen zu folgen. Nicht einmal aus einer ausdifferenzierteren Überzeugung heraus. Pädos, das waren so komisch-seifige Männer, die irgendwie immer besonders lieb und gewaltfrei wirkten."

Da ist ja Feddersen ehemalige grüne Schwulengruppe fein raus, wenn die Männer von der Pädophieliefraktion nicht nach ihren Geschmack war.

Für die Fakten sind die Politologen Franz Walter und Stefan Klecha zuständig. Sie gehen seit Monaten der Frage nach, welche Resonanz Forderung nach Entkriminalisierung von Kindersexualität in den neuen sozialen Bewegungen und dabei besonders den Grünen hatten. Am Montag lieferten die beiden Forscher in der FAZ einen Zwischenbericht, in dem sachlich dargelegt wurde, wie in den neuen sozialen Bewegungen und in den Anfangsjahren der Grünen auch die Anliegen der Pädophiliebewegung Gehör fanden, sich die Grünen aber seit Mitte der 1980er Jahre immer mehr davon distanzierten, bis sie sogar regelrechte Gegner solcher Forderungen wurden.

Vorbild Dagmar Döring?

Dass sind Informationen mit denen die Grünen in Wahlkampfzeiten leben können, auch wenn FDP und Union nun wieder verstärkt fordern, führende grüne Politiker, die in den 1980er Jahren neben Initiativen gestanden haben, die Kindersexualität entkriminalisieren wollen, sollen sich aus der Politik zurückziehen.

Dabei verweisen sie auf die hessische FDP-Politikerin Dagmar Döring, die von ihrer Bundestagskandidatur zurücktrat, nachdem Walter und Klecha bei ihren Forschungen entdeckten, dass nicht nur die Grünen offen für Forderung nach Entkriminalisierung von Kindersexualität waren, sondern auch die linksliberalen Jungdemokraten, die in den Zeiten der sozialliberalen Koalition als Jugendorganisation der FDP nahestand, aber damals auch unter dem Schlagwort "Demokratisierung der Gesellschaft" Themen aufgriff, mit denen die Mutterpartei nicht in Verbindung gebracht werden wollte.

Noch heute existiert ein parteiunabhängiger radikaldemokratischer Jugendverband gleichen Namens. Döring hatte 1980 einen Text für ein Buch mit dem Titel "Pädophilie heute" verfasst, in dem sie sexuelle Handlungen mit Mädchen beschreibt. In ihrer Erklärung behauptet Döring, keine Erinnerungen mehr an den Text und an die gesamte Lebensphase zu haben, als sie sich vor 30 Jahren als Studentin in Westberlin in linksalternativen Kreisen bewegte.

Eine solche Verdrängungsleistung, die eher an Amnesie erinnert, sollte eigentlich kein Vorbild für die Grünen sein. Sie müssten eigentlich den Kontext erklärten, um die Frage zu beantworten, warum in der Frühphase der grünen Bewegung, als die Aktivisten noch besonders viele Grenzen der bürgerlichen Welt einreißen wollten, auch die Entkriminalisierung der Kindersexualität auf der Agenda stand. Das war auch eine Reaktion auf die alltägliche Gewalt, mit der junge Menschen zu dieser Zeit überall in der Gesellschaft konfrontiert waren. Sexuelle Gewalt an Kindern wurde in Heimen und kirchlichen Einrichtungen verübt. Kinder, die an die Öffentlichkeit gehen wollten, wurden schnell für verrückt erklärt und auch tatsächlich entmündigt.

Doch davon ist in der Debatte nicht die Rede, die anlässlich der Verleihung des Theodor Heuss-Preises an den grünen Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit reaktiviert wurde. Hofften doch die Konservativen aller Parteien, dass sie mit diesem Thema die Grünen in Bedrängnis bringen können, nachdem der Versuch, die Straßenkämpfervergangenheit mancher Urgrüner zu skandalisieren, vor mehr als 10 Jahren nicht besonders erfolgreich war. Die Grünen wiederum haben mehrheitlich gar kein Interesse, politische Zusammenhänge darzulegen, die erklären, warum sich Initiativen für die Entkriminalisierung von Kindersexualität einsetzten. Sie sind zufrieden, wenn ihnen bescheinigt wird, dass sie heute mit solchen Überlegungen auch gar nichts mehr zu tun haben.

Von Pädophilie zur Prostitution?

Kritische Diskussionen unterbleiben sogar dann, wenn die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer in der Taz nicht nur ihre frühe Verdienste im Kampf gegen alle pädophile Bestrebungen preist, sondern auch gleich noch einen Zusammenhang zu ihrem Kampf gegen die Prostitution zieht:

"Der schlimmste Albtraum aufrichtiger Aufklärerinnen ist wahr geworden. Und die Parallelen im Diskurs um die Pädophilie und dem über die Prostitution drängen sich regelrecht auf: Auch die heute über 90 Prozent Armuts- und Zwangsprostituierten in Deutschland werden geleugnet, und es ist von 'Einvernehmlichkeit' und 'Freiwilligkeit' die Rede. Und auch bei diesem Kampf – gegen die Verharmlosung und Akzeptanz der Prostitution und für den Schutz der betroffenen Frauen – bin ich mit Emma mal wieder verdammt allein."

Mit der Femenbewegung dürfte Schwarzer im Kampf im Kampf gegen die Prostitution einig sein, nicht jedoch mit den Organisationen der Sexarbeiterinnen, die seit Jahren gegen das Klischee von der geschlagenen, unterdrückten Zwangsprostituierten ankämpfen.