Erhärteter Tatverdacht im Bio-Viagra-Fall

Charité-Professor "auf eigenen Wunsch" hin suspendiert. Staatsanwaltschaft ermittelt. Telepolis machte Fall öffentlich.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein halbes Jahr nach der sogenannten Bio-Viagra-Affäre am Berliner Universitätsklinikum Charité sind erste Konsequenzen gezogen worden. Vor wenigen Tagen trat der Chef des Instituts für Transfusionsmedizin, Holger Kiesewetter, von seinem leitenden Posten zurück. Kiesewetter habe selbst um seine Beurlaubung gebeten, hieß es aus der Pressestelle der Charité. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt indes wegen mindestens vier Strafbeständen gegen den nun beurlaubten Mediziner. Ende August waren sowohl das Institut für Transfusionsmedizin als seine Privaträume durchsucht worden.

Die Bio-Viagra-Affäre hatte Mitte März für Furore gesorgt. Ein Doktorand Kiesewetters hatte damals gegenüber der Deutschen Presse-Agentur behauptet, erfolgreich ein Potenzmittel auf rein pflanzlicher Basis entwickelt zu haben. Einige Tageszeitungen berichteten daraufhin auf ihren Titelseiten über das als "Plantagrar" bezeichnete Mittel.

Die Probleme folgten stante pede: Unmittelbar nach dem Medien-Hype dementierte die Charité-Leitung die Berichte. Es handele sich bei der Studie offenbar "um die Aktivität eines Mitarbeiters der Charité in eigener Verantwortung". Zudem wurde die Arzneimittelaufsicht auf den Fall aufmerksam. Nachdem Telepolis damals interne Informationen über die Studie publiziert ( "Bio-Viagra": Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt) hatte, stellte das verantwortliche Landesamt für Gesundheit und Soziales Strafanzeige wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz. Denn die Erforschung eines neuen Medikaments an Patienten unterliegt strengen Prüfvorschriften. Doch bei den zuständigen Behörden war die Bio-Viagra-Studie nie gemeldet worden. Die beteiligten Probanden könnten deswegen erheblichen Gesundheitsrisiken ausgesetzt gewesen sein.

Wie ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft nun gegenüber Telepolis bestätigte, wird tatsächlich wegen des vermuteten Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz gegen Kiesewetter ermittelt. "Die Auswertung der beschlagnahmten Materialien dauert noch an", sagte Sprecher Michel Steltner. Zudem wird gegen den nun abgesetzten Institutschef wegen Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue zuungunsten der Charité ermittelt. Kiesewetter, so die Vermutung, habe sich im Zusammenhang mit dem Potenzmittel verschiedene Zuwendungen gesichert.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Verstrickung zwischen medizinischer Forschung und wirtschaftlichen Interessen. Im Fall Kiesewetters und der Bio-Viagra-Studie hat die Charité nun die Notbremse gezogen. Bei ähnlichen Verdachtsmomenten werde man künftig �stets sofort die Innenrevision und den Ombudsmann für gute wissenschaftliche Praxis einschalten�, heißt es in einem Statement des Uniklinikums.