Die katholische Revolution geht weiter!

Der erste Diener seines Herrn: Der argentinische Jesuit Jorge Mario Bergoglio wird Papst

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden." Ignatius von Loyola (1491 – 1556)

Das erste, die allererste Aufgabe, vor die ein frischgewählter Papst gestellt ist, ist die Wahl seines Namens. Und so bleibt uns gar nichts übrig, als die Frage zu stellen, was Jorge Mario Kardinal Bergoglio SJ (Societas Jesu) uns sagen wollte, als er heute Abend den Namen Franziskus I. wählte. Was symbolisiert dieser Name? Er möchte der Erste sein. Nicht anknüpfen an irgendeine päpstliche Tradition. Nicht ein Konservativer sein oder ein Liberaler. Sondern der Erste. Ich ist ein Anderer.

Und er ist der erste. Der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. Der erste Nichteuropäer auf dem Papstthron. Der erste Diener seines Herrn. Mit dieser Entscheidung ist der Römisch-Katholischen Kirche ein überraschender, doppelter Befreiungsschlag gelungen. Als vor einem guten Monat Benedikt XVI. zurücktrat und seinen Schäflein wie Nixon im Hubschrauber davonflog, da war schon dies ein beispielloser Vorgang. Aber man konnte sich noch ablenken lassen: Benedikt, der Überforderte. Der Unglückliche. Der Erschöpfte. Der Unerlöste. "Er hatte seinen Apparat nicht im Griff" - und was sonst so in FAZ-Leitartikeln steht.

Mit der Wahl dieses Papstes aber versucht der Katholizismus in überaus selbstbewusster Weise, sich neu zu erfinden. Denn der provinzielle Blick der deutschen Debatten, auch der innerkatholischen deutschen Debatten, um demokratische Elemente in der Kirche und Synodalisierung, um Priesterehen und mehr Frauen in der Kirche, der täuscht komplett über die tatsächliche Lage des Katholizismus. Denn die katholische Kirche ist keine deutsche Kirche. Und sie ist keinesfalls die 265. evangelische Kirche. Sondern die Römisch-Katholische Kirche ist eine Weltkirche. Unam sanctam ecclesiam.

Die Römisch-Katholische Kirche ist ein Global Player

Alles Menschenlob bringt dich nicht in den Himmel hinein, aller Menschentadel bringt dich nicht aus ihm heraus. Aurelius Augustinus

Mit der Wahl eines Nicht-Europäers bannt die Kirche die Gefahr der Provinzialisierung oder der Verengung des Blicks auf Themen, die - wie etwa die Missbrauchsdebatte - im Verhältnis zu anderen Fragen völlig marginal sind und auch nur marginale Gruppen betreffen. Nicht marginal dagegen ist die Armut der Welt. Nicht marginal ist der Kapitalismus und seine Folgen. Nicht marginal ist die Evangelikalenbewegung, die das tatsächlich reaktionäre Christentum in der Welt verkörpert. Eine Bewegung, die auch eine Nord-Amerikanisierung des Christentums bedeutet.

Gegen all dies setzt die Wahl dieses Papstes ein unmissverständliches Zeichen. Ein klares Zeichen für eine Weltkirche in Zeiten, in denen es um Europa schon längst nicht mehr geht, auch nicht auf der Ebene der Religion.

Denn im Gegensatz zu aller europäisch verengten Wahrnehmung ist Religion eine Wachstumsbranche: Zur erwähnten Evangelikalisierung kommt die Ausweitung des Islam. Doch auch der Katholizismus wächst gewaltig. Im Konzert der Weltreligionen ist die Römisch-Katholische Kirche ein Global Player.

Gegenreformation, außereuropäische Mission, Hinwendung zu den Armen, Vermenschlichung und Verweltlichung

Franziskus, geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät. Christus, der Legende nach zu Franziskus von Assisi

An eine Tradition anknüpfen, das tut Franziskus natürlich schon. Nur an keine innerhalb des Vatikan. Er knüpft doppelt an, zum einen an den direkten Namensgeber, Franz von Assisi, den Gründer des Franziskaner Ordens. Heiliggesprochen von der katholischen Kirche, hochgebildet, weltgewandt, weltabgewandt, asketisch, innerweltlich, visionär - ein Fürsorger der Armen.

Und zum anderen an Francisco de Xavier, den spanischen Mitgründer des Jesuitenordens, dem der neue Papst selber angehört. Francisco de Xavier war ein Vorkämpfer der Gegenreformation, ein Wiederständler gegen den rasenden deutschen Mönch Martin Luther. Zugleich ein Kirchenreformer. Und zugleich ein Missionar außereuropäischer Regionen. Zunächst war er in Japan und dann wurde er der Gründer der ersten christlichen Mission in China.

Es ist kein Zufall, dass sich der neue Papst diese beiden Männer zum Vorbild nimmt. Mit ihnen hat er die Aufgaben seines Pontifikats klar benannt: Gegenreformation, außereuropäische Mission, Hinwendung zu den Armen der Welt und zu den existentiellen Fragen des Lebens. Vermenschlichung und Verweltlichung der Institution. Bereitschaft zu kämpfen.

Und ein Jesuit? Die Jesuiten sind der weltlichste, der sozial engagierteste, der diesseitigste Orden der katholischen Kirche. Sie stehen, gerade in Lateinamerika, einer Theologie der Befreiung am nächsten. Es kann auch kein Fehler sein, wenn einer neben Theologie auch Philosophie studiert hat, und wenn er dann in seiner Heimat als "Kardinal der Armen" bekannt ist.

Man darf hoffen, dass er nicht zu spät kommt. Hoffen, dass er Zeit hat und nicht ein kurzer Papst wird. Dass er mit 76 Jahren nicht zu alt ist für dieses Amt. Vor acht Jahren hatte Jorge Mario Bergoglio bereits nach Ratzinger die meisten Stimmen. Trotzdem ging er nicht als Favorit in diese Wahl: Ob nicht doch wieder ein Italiener Papst werden könne, hatte man sich gefragt. Man kann sie beruhigen: Eigentlich ist ja Jorge Mario Bergoglio auch ein Italiener. Man konnte das gleich hören, bei seiner ersten Rede, die er in fließendem Italienisch hielt, nur leicht gefärbt mit dem weichen Akzent, den Argentinier haben, wenn sie Italienisch reden. Natürlich hatten schon vorher wieder viele den unzählige Male zitierten Kalenderspruch nachgeschrieben, wer als Papst ins Konklave gehe, komme als Kardinal wieder heraus. Diesmal traf er zu. Und diesmal hat der Opus Dei sich nicht durchgesetzt.

Die Papstwahl, und alles was ihr vorausging und folgen wird, ist so oder so ein großes Spektakel. Man muss nicht katholisch, nicht einmal christlich sein, um sich von diesen Ritualen faszinieren zu lassen.

Die Kirche mag pluralistisch sein, aber Gott ist nicht demokratisch

In seiner ersten Rede nach der Wahl sagte der neue Papst in lockerem Ton: "Hier bin ich!" Und dann sprach er von der Reise, vom "Weg, den wir heute beginnen..." Ein Weg, ein wir und ein Beginn. Das ist ein Versprechen. Ein Versprechen auf Bewegung. Auf Abkehr von Ratzingers banaler Kritik am "westlichen Individualismus", seiner Absage an "die inhaltsleere Freiheit". Ein Versprechen auf Beweglichkeit, die nötig ist, um das komplizierte System Kirche, das einerseits unglaublich dynamisch ist, andererseits erschöpfend starr, zu steuern.

Dieses Gleichgewicht ist nur zu erreichen, indem man sich bewegt. Indem man zugleich aber alle Teile des Systems im Auge behält. Ein anderer Jesuit, Ignatius von Loyola, hat einmal formuliert: "In einer belagerten Festung ist Uneinigkeit Verrat." Auch auf diese Einheit wird der neue Steuermann der Kirche Wert legen müssen. Man darf gespannt sein.

Was Jorge Mario Kardinal Bergoglio SJ uns also eigentlich sagen wollte, ist: Die Kirche mag pluralistisch sein, aber Gott ist nicht demokratisch. Der Römische Katholizismus hat wieder eine politische Form. Er hat Amerika entdeckt. Die Erde ist keine Scheibe. Es wird alles anders werden. "Ich werde Euch eine neue Welt entdecken." Die katholische Revolution fängt gerade erst an.