"Nur in Paderborn und Münster, da blieb es finster"

Die katholischen Schützen wollen keine schwulen Königspaare - die Ausgrenzung von Minderheiten hat bei ihnen Tradition

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Unter aufgeweckten Katholiken in Westfalen gibt es - frei nach der biblischen Schöpfungsgeschichte - folgendes Bonmot: "Und Gott sprach: Es werde Licht. - Nur in Paderborn und Münster, da blieb es finster." Die Sache hat sich am vergangenen Sonntag wieder einmal bewahrheitet.

Schützenbrüder aus den katholischen Bistümern Paderborn und Münster haben zum Schutz des wahren Christentums ein Verbot männlicher Königspaare gefordert. 450 von 500 Delegierten bei der Bundesversammlung des Dachverbandes BHS, so eine Meldung des WDR, votierten für einen entsprechenden Antrag. Die Versammlungsteilnehmer repräsentierten 300.000 oder - nach anderen Angaben - sogar 400.000 Schützen aus sechs Diözesen.

Schwule Schützenkönige wie der Münsteraner Dirk Winter müssen sich nach dem Willen der Funktionäre zukünftig überall eine weibliche Ersatzkönigin suchen und ihre männlichen Partner am besten ganz zuhause lassen. Ob schwule Paare zumindest im königlichen "Hofstaat" und bei den ohnehin rein männlichen Reihen der Schützenbrüder Seite an Seite gehen dürfen, darüber wird vom Verband nichts mitgeteilt.

Wenn zwei Männerbünde aufeinander treffen ...

Angesichts der homophilen Stile und des hohen Anteils an homosexuellen Priestern in der römischen Kirche wirkt die z.T. auffällig aggressive Homosexuellenfeindlichkeit der katholischen Klerikerhierarchie auf weite Teile der Öffentlichkeit längst wie eine schlechte Komödie (allerdings zeichnet sich bei allen halbwegs gescheiten Bischöfen immer mehr ein Abstand zur traditionellen Hetzrhetorik ab). Bei den BHS-Schützenbrüdern kommt neben dem katholischen nun ein weiteres männerbündisches Element mit ins Spiel, und da wird es wirklich schwierig. Ihre Uniformen sind zwar von ganz anderem Zuschnitt als die langwallenden Priestergewänder, doch Gemeinsamkeiten mit der Mutterkirche gibt es in der Männerfrage offenkundig doch.

In homosoziologischen Kontexten - also z.B. in reinen Männerkirchenleitungen, beim Militär und eben auch in Schützenkompagnien - steht im Hintergrund stets eine Angst vor Homosexualität. Der Beschluss des BHS lässt am ehesten einen hohen Anteil von Männern vermuten, die sich ihrer heterosexuellen Männlichkeit keineswegs besonders sicher sind und deshalb wenigsten nach außen hin unter Beweis stellen müssen, dass sie "echte Kerle" sind. Ausgrenzung ist also angesagt gegenüber jenen, die gar keine Angst davor haben, anders Mann zu sein als es ein einfältiges Patriarchat vorschreibt.

Ausnahmezustand

Einmal im Jahr sorgen die Schützenfeste in den katholisch geprägten Dorfgemeinschaften für einen Ausnahmezustand. Wo in Abrede gestellt wird, dass exzessiver Alkoholgenuss im Mittelpunkt der Veranstaltung steht, sollte man sich die lokale Hektoliter-Feststatistik vom letzten Sommer zeigen lassen.

Katholizismus kann an sich eine ganz fröhliche und lebensbejahende Sache sein. Beim ununterbrochenen Nachschub der Bierrunden sind mitunter sogar noch jene eigentümlich klassenlose Verhältnissen anzutreffen, in denen - wie vor dem lieben Gott - jeder gleich angesehen und gleich bedeutsam ist. Welch unvorstellbare Himmelsphären am vierten Tag des Festes, bei der Nachfeier, erreicht werden, kann man eigentlich niemandem erklären, der es selbst nie erlebt hat. Herrlich! Zu nächtlicher Stunde staunt man nur über die Innigkeit von vielen mann-männlichen Verbrüderungen. Auch wegen solcher Phänomene des Ausnahmezustands kann der in seiner Männlichkeit unsichere Teil der Schützenbrüder es nicht dulden, dass ein Homo ganz offen und in männlicher Begleitung den Festzug anführt.

Zwei Dinge haben die Herren bei ihrer katholischen Schützenversammlung am Sonntag nicht bedacht. Erstens, dass man sich gerade dadurch vielleicht hinsichtlich der eigenen Männlichkeitsrolle besonders verdächtig macht. Zweitens, dass der Widerspruch zu selbstverständlichen Nichtdiskriminierungsstandards der Gesellschaft möglicherweise in Kommunen mit einer weniger mittelalterlichen Gesinnung ein "Aus" für jegliche öffentliche Fördergelder z.B. bei gemeinnützigen Schützenprojekten bedeuten könnte.

"Glaube, Heimat, Sitte"

Die zumeist ländlichen katholischen Milieus, in denen die Schützen ihre Feste feiern, sind schon lange nicht mehr das, was sie einmal waren. Vorbei sind die Zeiten, in denen die meisten Schützenbrüder außer an ihrem höchsten Feiertag jeden Sonntag eine Kirche von innen gesehen haben. Da viele Bischöfe solche Zukunftsmodelle, die mehr und anders sind als bloße Priestermangelverwaltung, nicht zur Kenntnis nehmen wollen, wird es vielen Dörfern ohnehin verwehrt, ihre nahe Ortskirchengemeinde auch ohne Priester lebendig zu erhalten. Am längsten bleiben offenbar "katholische" Traditionsvereine wie die Schützen vital, und zumindest hier scheint man - ganz sicher nicht ohne geistlichen Beistand - noch "Profil" zeigen zu wollen.

Wie aber sieht die Wirklichkeit aus? In den als katholisch firmierenden Schützenvereinen gibt es längst Mitglieder, die evangelisch oder aus der Kirche ausgetreten sind, und erst recht zahllose wiederverheiratete Schützenbrüder, die nach Roms aberwitziger Lehre in beständiger Sünde leben. In den Schützenmessen sieht man immer mehr hilflose Vereinsmitglieder, die mit der kirchlichen Liturgie kaum noch richtig vertraut sind. Nun denn, in der Homo-Frage hat man sich jetzt ja jedenfalls ganz katholisch gezeigt. Viel mehr an "christlicher Substanz" fällt den Schützen zur Banderole "Glaube, Heimat, Sitte" in den Schützenhallen offenbar nicht mehr ein. Was diese "Traditionsbewahrer" an eine nächste Generation eigentlich weitergeben, darf man wohl fragen.

Mord und Totschlag wegen eines jüdischen Schützenkandidaten

Die Tradition, die Tradition - sie erweist sich leider in historischer Hinsicht nicht immer als menschenfreundlich. 1819 lässt der Werler Kaufmann Levi Lazarus Hellwitz (1786-1866), Prediger, Synagogenvorsteher und zeitweilig auch Obervorsteher der Judenschaft in Westfalen, sein Werk "Die Organisation der Israeliten in Deutschland" in Magdeburg "zum Besten armer Handwerker" drucken. Damit kommt zu preußischer Zeit ein beachtenswerter reformjüdischer Beitrag aus dem Raum des ehemals geistlich regierten Herzogtums Westfalen.

Doch das erste Viertel des 19. Jahrhundert endet nicht gut für Levi Lazarus Hellwitz und sogar tödlich für einen der Handwerker, die sich mit ihm gut verstehen: Unter Hinweis auf die fehlende staatsbürgerliche Integration der Juden und den "christlich-religiösen Verbrüderungscharakter" des Schützenfestes wird ihm die Mitgliedschaft im Schützenverein Werl verwehrt. Am ersten Schützenfesttag 1825 kommt es deshalb zu gewalttätigen Angriffen auf Hellwitz und die mit ihm sympathisierende Toleranzfraktion von Werl (u.a. auch zu Steinwürfen katholischer Frauen). Am Abend wird "ein der Judenpartei angehörender Schreinergesell" mit einer Wagenrunge totgeschlagen. Bald darauf verlässt Hellwitz für immer die Stadt. (Brenner et al.: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. 2. Band. München 1996.)

Eine ganz ungehorsame Schützenkompagnie

Erst 1849 kann in Werl wieder ein Schützenfest gefeiert werden. Zu diesem Zeitpunkt lassen sich die Ideen der Märzrevolution allerdings auch im katholischen Westfalen nicht verschweigen (im protestantischen Iserlohn wurde schon 1841 ein jüdisches Mitglied der Schützengesellschaft geführt). Im sauerländischen Attendorn ändert 1849 die dortige Schützengesellschaft unter dem Vorzeichen bürgerlicher Toleranz ihre Statuten, und auch 1851 kommen konservative Schützen nicht durch mit ihrem Antrag,

"... Nichtkatholiken die Teilnahme an kirchlichen Festen in den Reihen der Schützen zu untersagen. Als dann ein jüdischer Schützenbruder an einer Prozession teilnahm, erfolgte mit Erlass vom 10. Juli 1851 das [...] Verbot des Generalvikariats Paderborn. Es heißt in dem Schreiben, "dass die Schützengesellschaft ... ohne Rücksicht auf Kirchen- und Gottesgebote es sich hat beifallen lassen, in diesem Jahre einen Juden ihrem Zuge bei der den katholischen Christen so heiligen Fronleichnamsprozession an die Spitze zu stellen (derselbe trug die alte Schwedenrüstung) und mit herum ziehen zu lassen, und es nicht berücksichtigt hat, welche schweren Strafen Gottes wegen eines solchen Frevels sie über sich und die ganze Bürgerschaft erwirken könnten."(Heimatstimmen Olpe Folge 171 (1993), S. 113.)

Im Konflikt zwischen liberalen Bürgerideen und Paderborner Kirchenraison hat die Attendorner Schützengesellschaft nicht nachgegeben. Dass die Bischofsbehörde ganz im Stil voraufgeklärter Judenordnungen und Postillen die Gefahr eines kollektiven göttlichen Strafgerichts beschwört, hat Methode. Ab 1856 machen Bischof Konrad Martin (1812-1879) und der sauerländische Priester Joseph Rebbert (1837-1897), ein Pionier der Bistumspresse, Paderborn zu einem Zentrum des katholischen Antisemitismus. Aus dem benachbarten Münsterland stammt der Priester August Rohling (1839-1931), spätestens ab 1871 einer der berüchtigtsten Propagandisten des Judenhasses.

Das Vorbild der ungehorsamen Attendorner macht aber dennoch Schule. Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts gibt es vereinzelt jüdische Schützenkönige in Südwestfalen (z.B. 1887 erstmals in Hallenberg). Bis zur frühen Weimarer Republik hat so mancher katholische Verein ausdrücklich festgelegt, dass "nunmehr auch Israeliten Schützenbrüder werden können". Man darf die entsprechenden Dokumente nicht als Beweise für erfreuliche Alltagsverhältnisse am Ort lesen, aber sie sind immerhin Hinweise für Veränderungen.

Es ist nie zu spät für eine glückliche Schützenjugend

Die Geschichte der Schützen bietet also ganz unterschiedliche Modelle im Umgang mit Minderheiten an. Vielleicht ist die von Paderborn und Münster aus betriebene Beschlussfassung des katholischen Dachverbands ein Schuss, der nach hinten losgeht und vielerorts eine Dynamik in Gang setzt, die man gerade nicht will. Die Ungehorsamen sollten sich jetzt eigentlich ermutigt fühlen, nur bitte heute nicht mehr mit Totschlag im Gefolge.

Pressebilder von der homophoben Schützenversammlung am Sonntag lassen vermuten, dass der Antrag aus Paderborn und Münster nicht geheim abgestimmt worden ist. Ob ohne soziale Kontrolle das Abstimmungsverhältnis genauso ausgefallen wäre? Immerhin, es gab fünfzig Abweichler (sie seien an dieser Stelle herzlichst gegrüßt). Zu hundert Prozent schwarz fällt die Sonnenfinsternis bei den Schützen also nicht aus. Lernprozesse und Geistesblitze sind möglich, wenn man den exzessiven Bierkonsum nicht über die menschlich oft so förderlichen Ausnahmezustände im Dorf hinaus zum Alltag werden lässt.

Die im WDR-Film "Schwule Sau - Der neue Hass auf Homosexuelle" (2010) dokumentierte Geschichte des Jungschützens Kevin aus Winterberg-Niedersfeld sollte gerade den katholischen Schützenvereinen deutlich machen, welche "christliche Verantwortung" ihnen in einem ländlichen Raum zukommt, in dem Homosexuelle noch in den 1990er Jahren aus der Familie ausgeschlossen wurden oder sich in ihrer Ausweglosigkeit aufgehängt haben (Bürger: Das Lied der Liebe kennt viele Melodien. Oberursel 2005). Nun gibt es sie inzwischen, die selbstbewussten und angstfreien schwulen Schützenbrüder. Die toleranten Vereine stehen in einer sehr guten "Glaubens"-Tradition, denn schon vor zweitausend Jahren hat man Jesus von Nazareth, dem Freund der Normabweicher und Huren, vorgeworfen, er befinde sich in schlechter Gesellschaft. Beim Stichwort "Heimat" aus dem Schützenmotto kann gemäß dieser uralten Tradition doch wohl nur gemeint sein, anderen Menschen - gerade auch denen, die "ganz anders" sind - Heimat zu bereiten. Und über das dritte Thema "Sitte" sollten wir bei der nächsten Schützenfesttheke mal ein ganz menschliches, ehrliches Wörtchen miteinander reden ...

Der Verfasser dieses Kommentars feiert übrigens, obwohl er Pazifist ist, außerordentlich gerne Schützenfest in seinem hochsauerländischen Heimatdorf und hat dort als "offen bekennender" Schwuler rundherum nur gute, oft ganz erstaunliche Erfahrungen gemacht. Vor fünf Jahren haben wir am Schützenfestmontag sogar spontan ein erstes lesbisch-schwules Treffen unter der Vogelstange abgehalten. Das dritte Jahrtausend ist auch im Sauerland angekommen, bei den Funktionären der katholischen Bundesschützen aber offenkundig noch nicht.