Erhöht das Betreungsgeld den Fernsehkonsum von Kleinkindern?

Eine US-Studie zeigt, dass selbst von Betreuern Zuhause beaufsichtigte Kinder sehr viel mehr fernsehen als solche in Kitas.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Während man unten noch streitet, ob das geplante Betreuungsgeld nicht doch für Hartz IVF-Empfänger, wie man in der FDP vorschlägt, nur in Form von Gutscheinen ausgegeben werden soll, um Missbrauch zu verhindern, hat Bundeskanzlerin Merkel nun zumindest versucht, ein Machtwort zu sprechen. Noch vor kurzem hatte sie sich auch für Gutscheine ausgesprochen, jetzt vertraut sie doch auf die Familien, dass sie etwas Vernünftiges damit anfangen. Es geht dabei allerdings nicht nur darum, dass Eltern, wie manche sagen, das Geld für Alkohol oder andere Dinge als fürs Wohlergehen des Kindes ausgeben könnten. Man wird vermutlich davon ausgehen können, dass die Kinder Zuhause noch mehr Fernsehen oder DVDs glotzen werden, als wenn sie beispielsweise in einer Kita sind. Frühes exzessives Fernsehen kann bei Kindern zu dauerhaften Problemen bei der Sprach- und Lesekompetenz, zu Fettleibigkeit, zu Aufmerksamkeitsstörungen und vielleicht zu höherer Aggression führen. In bildungsfernen Schichten dürfen schon die Kleinkinder mehr Fernsehen und haben auch Vorschulkinder schon oft Fernseher in ihrem Zimmer stehen ( Hoher Medienkonsum führt zu schlechten Schulnoten).

Der Unterschied zeigt sich bereits dann, wenn es nur darum geht, ob Kinder Zuhause von einer Erzieherin, Pflegemutter etc. betreut werden oder in eine Krippe, Kita, Kindergarten oder Vorschule gehen bzw. gebracht werden. Zumindest in den USA ist die Betreuung Zuhause gegenüber dem Aufenthalt in Kitas oder Krippen damit verbunden, dass die kleinen Kinder noch mehr und länger dem Fernsehen ausgesetzt sind. Auch damit schadet man u.a. den Bildungskarrieren besonders von Kinder aus bildungsfernen Schichten, was nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland der Fall sein dürfte.

Nach der in der Zeitschrift Pediatrics demnächst erscheinenden Studie von Wissenschaftlern des Center for Child Health, Behavior and Development am Seattle Children's Research Institute und der University of Washington School of Medicine konsumieren die Kinder allgemein doppelt so viel Fernsehen wie man bislang aufgrund der Befragung von Eltern angenommen hat – und eben besonders viel, wenn sie Zuhause sind. Die Eltern beschönigen natürlich gerne die Realität, dass die Kinder, weil es einfacher ist, ans Fernsehen abgeschoben werden, andererseits ist die Mehrheit der Kleinkinder oft nicht mehr nur alleine bei den Eltern Zuhause. Bislang ging man von 2-3 Stunden täglichem Fernsehkonsum von Vorschulkindern aus, die Zahlen seien aber schon älter als 20 Jahre.

Vorschulkinder, die Zuhause betreut werden, schauen nach der Studie durchschnittlich, 2,4 Stunden täglich Fernsehen, diejenigen, die in einem Zentrum betreut werden, dagegen nur 0,4 Stunden. Je höher die Ausbildung der Betreuer ist, desto weniger dürfen die Kinder auch bei sich Zuhause in die Glotze schauen. Säuglinge, die Zuhause betreut werden, werden 0,2 Stunden vor den Fernseher gebracht, in Zentren gibt es keinen Fernsehkonsum. Bei Klinkindern ist das Verhältnis 1,6 zu 0,1 Stunden, bei Vorschulkindern 2,4 zu 0,4 Stunden. Passive Fernsehzeit wurde nicht berücksichtigt, also wenn der Fernseher nur im Hintergrund läuft. Allerdings zeige sich auch dann, dass Kinder weniger sprechen und die Erwachsenen sich weniger mit den Kinder beschäftigen.

Betreuer werden dafür bezahlt, dass sie die Kinder beschäftigen sollen, viele Eltern werden, weil sie berufliche Verpflichtungen, den Haus versorgen oder anderen Beschäftigungen nachgehen wollen oder müssen, noch eher geneigt sein, den Fernseher für die Kleinen einzuschalten.

Dimitri A. Christakis, einer der Wissenschaftler, warnt, dass die Kindheit immer stärker "technologisiert" werde, was für die Kinder, wenn sie erwachsen werden, als schädlich herausstellen könnte. Eltern und Betreuer müssten wissen, wie lange sie Kinder fernsehen lassen sollen und aus welchen Programmen die Fernsediät zusammengesetzt sein soll. Das sei genau so, wie sie auch wissen müssten, wie viele Kalorien und welche Lebensmittel die Kinder erhalten. Es gibt zwar Ratschläge dafür, wie lange man Kinder in welchem Alter fernsehen lassen sollte, aber das können bestenfalls Richtlinien sein.

Unter zwei Jahren, so etwa der Ratschlag aus den USA, soll der Fernseher tabu bleiben, Vorschulkinder über zwei Jahren sollten höchstens 2 Stunden vor der Glotze verbringen. Hierzulande empfiehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:

  • Kinder unter drei Jahren sollen überhaupt nicht fernsehen oder Computer spielen.
  • Vorschulkinder zwischen drei und fünf Jahren sollen nicht länger als eine halbe Stunde pro Tag vor dem Fernseher oder am Computer verbringen.
  • Bei Grundschulkindern sind bis zu einer Stunde Fernseh- bzw. Computerzeit pro Tag akzeptabel.
  • Kinder sollen nur einmal am Tag eine bestimmte Sendung schauen. Danach wird der Fernseher abgeschaltet.
  • Morgens vor dem Kindergarten oder vor der Schule, während der Mahlzeiten und unmittelbar vor dem Schlafengehen bleiben Fernseher bzw. Computer ausgeschaltet.
  • Dauert eine Sendung länger als die vereinbarte Zeit, sollte sie in altersgerechte „Portionen“ mit Hilfe eines DVD- oder Videorecorders aufgeteilt werden.
  • Kinder sollen auf gar keinen Fall alleine vor dem Fernseher sitzen und Eltern sollen darauf achten, dass auch nur die abgesprochene Sendung geschaut wird.
  • Fernsehgeräte gehören nicht ins Kinderzimmer.

Jetzt könnte man natürlich auch beim Betreuungsgeld darüber nachdenken, wie man nicht nur verhindern könnte, dass Eltern das Geld versaufen, so warnte Neuköllns Bürgermeister Buschkowsky, sondern wie man auch dafür sorgen könnte, dass in den bildungsfernen Schichten die Kinder möglichst keine oder wenig Zeit vor dem Fernseher verbringen, wenn man schon kein ausreichendes und attraktives Angebot für die Betreuung von Kleinkindern anbieten oder die Mittelschichtseltern mit mehr Geld versorgen will.