INDECT meldet Produktfälschung

Das als "Bevölkerungsscanner" kritisierte EU-Forschungsvorhaben mag eine überwachungskritische Webseite nicht - doch wo sonst gibt es Auskunft über das umstrittene Projekt?

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INDECT (Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment) hat sich bis 2013 viel vorgenommen: Das Ziel ist nicht weniger als die Entwicklung einer Plattform zur gleichzeitigen, automatisierten Auswertung von Daten aus (auch fliegenden) Videokameras, Polizeidatenbanken und dem Internet. Das Projekt beforscht die "automatische Aufdeckung von Bedrohungen" und eine "Erkennung von abnormalem Verhalten oder Gewalt", um die "operativen Aktivitäten von Polizisten" technisch zu unterstützen. INDECT will dem immer wieder gern erklärten Kampf gegen Terrorismus und Kinderpornographie zur Seite springen.

Kürzlich erklärten die Projektbeteiligten, dass das Projekt zukünftig auf Tauchstation geht: Fortan werden keine sensiblen Informationen des EU-Vorhabens veröffentlicht, sofern sie eine nicht näher bezeichnete "nationale Sicherheit" gefährden ( Wer nichts getan hat, muss auch nichts befürchten). Vielleicht waren die INDECT-Macher auch nur beleidigt über den Rummel, den das Projekt seit 2 Jahren unter Bürgerrechtlern, Datenschützern, Netzaktivisten und Parlamentariern auslöst?

Die Forscher brummelten, sie fühlten sich "missverstanden" und hätten keine Lust mehr zu erklären, wofür das Projekt "nicht steht". Immerhin hatte sich ein INDECT-Macher dann doch noch auf den Weg zu einer kritischen Präsentation anlässlich des jüngsten CCC-Kongresses gemacht, um dort das Podium zu entern und beschwichtigend auf das Publikum einzureden. "Alle Dokumente, die öffentlich sein sollen, sind öffentlich", entkräftet der Forscher unter Gelächter.

"Vorsicht vor Produktfälschern!", meldete INDECT gestern. Die Internet-Aufpasser haben eine "seltsame", "störende" Webseite im Internet bemerkt, deren Adresse der Originalseite stark ähnele. Die INDECT-Macher haben herausgefunden, dass die neue Seite in Köln registriert ist. Ihr Inhalt sei täuschend ähnlich und wahrscheinlich schlicht kopiert - bis auf einige störende Details, etwa die Behauptung, dass INDECT die weltweite Überwachung der Menschheit befördert.

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Screenshot der kritischen Webseite

"In our opinion, this type of illegal, misleading action is a typical example of defamation. A pity that such illegal methods are used for discussing with our Project", so eine der beiden INDECT-Webseiten.

Dass Kritiker nicht mit INDECT ins Gespräch kommen wollen, mag die Wissenschaftler kränken. Tatsächlich versuchten Aktivisten und Parlamentarier seit geraumer Zeit zunächst, mittels parlamentarischer Anfragen mehr Informationen über das von der Europäischen Union finanzierte Projekt zu erheischen - leider größtenteils vergeblich.

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Screenshot der Originalseite

Während die Auskünfte der EU-Kommission eher mager sind und der offiziellen Projektbeschreibung sogar widersprechen, ist eine Kontrolle über den Weg der Parlamente der Mitgliedsstaaten verbaut. Jedenfalls wollte die deutsche Bundesregierung auf eine entsprechende Kleine Anfrage nur ausweichend antworten und verwies stattdessen frech auf eine INDECT-Webseite.

Derart abgespeist hatte der fragende linke Abgeordnete Andrej Hunko die Projektleiter im Dezember persönlich angeschrieben und einen Offenen Brief an die INDECT-Verantwortlichen Andrzej Dziech und Andrzej Czyzewski verfasst. Das Schreiben listet 25 bislang widersprüchlich beantwortete oder noch immer offene Fragen auf und endet mit der Bitte, wenigstens dessen Empfang zu bestätigen – ergebnislos.

Fazit ist also, dass INDECT an einer öffentlichen Kontrolle desinteressiert zu sein scheint. Damit bleibt die Frage, wie das ausufernde Projekt überhaupt noch zu kontrollieren ist, wenn sowohl die EU-Kommission, die nationalen Parlamente als auch die INDECT-Macher eisern schweigen? Vielleicht bringt die Initiative einiger EU-Parlamentarier Schwung in die Auseinandersetzung (dazu s.a.: INDECT, das europäische Totalüberwachungs-Programm, noch nicht vom "Radar der Öffentlichkeit" erfasst). Antworten finden sich stattdessen womöglich bei der von INDECT kritisierten "störenden", "illegalen", "irreführenden" Produktfälschung.