Haiti: Zu langsam, zu spät?

Der failed state Haiti wird auch nach dem Katastrophen-Medienhype ein Problem bleiben, Rezepte hat niemand.

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Die Folgen des Erdbebens in Haiti haben erneut deutlich gemacht, welche Risiken lauern, wenn Kriege oder Katastrophen in Abwesenheit von verlässlichen und nicht korrupten staatlichen Strukturen ausbrechen. Haiti ist ein gefährdetes Land für Naturkatastrophen, Erdbeben oder Wirbelstürme können es immer heimsuchen, aber es ist seit Jahrzehnten auch ein Land, das nicht auf die Beine kommt, von Diktatoren beherrscht wurde, als Spielfigur im geopolitischen Machtspiel fungiert, aber auch als unwichtig gilt, weil es nichts als eine verarmte und junge Bevölkerung bietet.

Bei Katastrophen kommt es auf schnelle Hilfe an. Die US-Regierung hat immerhin versprochen, schnell einen großen Einsatz zu leisten, 10.000 Soldaten und fast 70 Millionen Euro an Soforthilfe zu leisten, was man von der deutschen Regierung nicht sagen kann. Als Soforthilfe waren erst einmal nur 1,5 Millionen Euro bewilligt worden (erst am Samstag erhöhte man auf mickrige 7,5 Millionen). Allerdings stehen die USA in besonderer Verantwortung, zu oft haben sie in die Angelegenheiten des Staats eingegriffen, Putsche oder Machthaber unterstützt.

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Wer kann, flieht aus Port-au-Prince. Bild: UN Photo/Logan Abassi

Auch wenn nun in den USA Bill Clinton und George Bush Spenden einholen wollen und Hillary Clinton nach Haiti geflogen ist, um zu zeigen, wie wichtig die US-Regierung die Hilfe für die Opfer nimmt, dürfte die schwerfällige Logistik für viele Menschen in Haiti die Hilfe zu spät kommen lassen. Das war auch schon so beim Wirbelsturm Katrina. Nach manchen Berichten gehen Schätzungen – und mehr als Spekulationen gibt es derzeit nicht – bereits von 200.000 Todesopfern aus. Lebensmittel-, Trinkwasser- und medizinische Versorgung scheint weiterhin schwierig zu sein. Zwar wird der Flughafen nun vom US-Militär kontrolliert, aber viele Orte sind weiterhin schwer zugänglich. Wer kann, flieht aus den Port-au-Prince oder den anderen betroffenen Städten, die zurückbleiben müssen, beginnen sich bereits durch Plünderungen und Überfälle selbst mit dem zu versorgen, was sie benötigen. Polizei ist praktische nicht vorhanden. Bis die US-Soldaten in die Stadt einmarschiert sind, könnte die Lage schon außer Kontrolle sein.

Kaum vorstellbar ist derzeit, wie es in Haiti langfristig nach dem Medienhype und der absehbar vorüber gehenden weltweiten Aufmerksamkeit weiter gehen soll. Selbst wenn die geplante Geberkonferenz große Mittel für einen Wiederaufbau zur Verfügung stellen würde, ist die Frage, wie das Leben in der zerstörten Hauptstadt schnell wieder aufgebaut werden kann und wie man eine legitime und nicht korrupte Regierung einführen kann. Die letzten "Modelle", der Kosovo, Irak oder Afghanistan, machen wenig Hoffnung. Es werden viele Milliarden versenkt und das Leben von manchen Zivilisten und Soldaten geopfert, ohne dass ein befriedigendes Ergebnis sichtbar ist.

Haiti ist nur ein neuer Fall, der deutlich macht, dass wir keine Ahnung haben, wie wir mit failed states umgehen sollen. Daher liegt es immer nahe, mit autoritären und korrupten Regimen zu paktieren, die einen Rest an Ordnung zu gewähren scheinen, die aber auch die nächsten Konflikte produzieren. Es darf bezweifelt werden, dass die zerrissene Weltgemeinschaft an Haiti lernt.