Rechtswidriges Übel?

Abmahnender Anwalt wegen Erpressung angeklagt

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Eine Erpressung liegt nach § 253 des deutschen Strafgesetzbuchs dann vor, wenn eine natürliche Person "rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung" genötigt wird. Weitere Voraussetzungen sind eine Bereicherungsabsicht des Täters und ein Vermögensnachteil beim Opfer. Das Delikt zählt zu jenen Taten, bei denen bereits der Versuch bestraft werden kann. Konkret sind dafür mit bis zu fünf Jahren Haft möglich.

Dass darunter Handlungen abmahnender Anwälte fallen könnten, wurde von Juristen bislang meist mit Verweis auf die Tatbestandsvoraussetzung der Rechtswidrigkeit verneint. Der Absatz 2 des Paragrafen sieht die Androhung eines Übels allerdings schon dann als rechtswidrig an, wenn sie "zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist". Das schließt Abmahnungen nicht explizit aus. Im Fall gewerbsmäßig abmahnender Anwälte ist sogar ein besonders schwerer Fall der Erpressung denkbar, der nach § 253 Absatz 4 mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe zur Folge hat.

Die Staatsanwaltschaft Berlin gelangte nun im Fall des abmahnenden Rechtsanwalts S. zur Auffassung, dass im Falle seiner Abmahnungen der Tatbestand einer Erpressung erfüllt sein könnte und erhob dem Markenrechts-Branchenblog Ecovis zufolge Anklage. Ecovis-Betreiber Harald Schleicher, ein Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, erfuhr davon, weil er in dem Prozess zusammen mit anderen Kollegen, die Betroffene vertreten, als Zeuge geladen wurde. Ein einfaches und schnelles Verfahren erwartet sich das Gericht offenbar nicht: Für die Hauptverhandlung, die Mitte Februar stattfinden soll, sind mehrere Tage angesetzt.

Auch auf der internationalen Kampagneplattform Avaaz.org sind Abmahnungen mittlerweile ein Thema: Dort läuft eine Bürgerpetitionen, die dem Europäischen Parlament zugeleitet werden soll. Sie hat eine gesetzliche Regelung zum Ziel, nach der Erstabmahnungen, in denen Urheberrechtsverletzungen behauptet werden, kostenfrei sein müssen. Der Petent begründet dies unter anderem damit, dass die Abmahnwirtschaft in Deutschland auf ein Volumen von 500 Millionen Euro jährlich angewachsen sei und sich nur ein sehr kleiner Teil der Opfer gegen missbräuchliche Forderungen zur Wehr setze, bei denen nicht Schadensersatzforderungen, sondern anwaltliche Gebühren im Mittelpunkt stünden.