Empörung in der Westsahara

Marokko verhängt hohe Gefängnisstrafen gegen 24 Saharauis wegen der tödlichen Vorfälle bei der Räumung eines Protestlagers

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Es waren brutale Szenen, die sich 2010 in der von Marokko besetzten Westsahara abspielten, als das marokkanische Militär gewaltsam ein Protestlager räumte. Am Sonntag wurden die Urteile im Prozess gegen 24 angeklagte Saharauis gesprochen. Sie wurden bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen verhaftet und nun in der marokkanischen Hauptstadt Rabat abgeurteilt. Von den "24 von Gdeim Izik"(Camp der Würde) wurde gegen acht Saharauis eine lebenslängliche Haftstrafe verhängt. Die übrigen Angeklagten wurden in der Mehrzahl zu Haftstrafen zwischen 20 und 30 Jahren verurteilt.

Neun Tage lang wurde vor einem Militärgericht verhandelt und die Urteile am frühen Sonntag verkündet Die Angeklagten saßen seit den Vorfällen am 8. November 2010 in Untersuchungshaft. Die Militärrichter sehen es als erwiesen an, dass die Angeklagten "Gewalt mit Todesfolge" gegen Sicherheitskräfte eingesetzt hätten, als das Camp nahe der Stadt Al-Aaiún (Laâyoune) aufgelöst wurde. Die Angeklagten wurden als "Täter oder Komplizen" und als Mitglieder einer "kriminellen Bande" verurteilt.

Das Verfahren hat kein Licht in die Vorgänge gebracht, bei der die Sicherheitskräfte mit brutaler Gewalt vorgegangen sein sollen. Einen Monat lang hatten zuvor bis zu 20.000 Saharauis friedlich gegen die Besetzung der Westsahara durch Marokko und für soziale Verbesserungen protestiert. Die Westsahara war nach dem überstürzten Abzug der spanischen Kolonialmacht 1975 von Marokko besetzt worden. Nach Angaben Marokkos wurden bei der Räumung elf Polizisten getötet. Die Saharauis sprechen davon, die Polizei habe 35 Protestierer getötet und 700 verletzt. Etwa 3.000 Menschen wurden verhaftet.

Die Anwälte wurden von der Höhe der Strafen für ihre Mandanten überrascht, obwohl Beobachter auch Todesstrafen nicht ausgeschlossen hatten. Sie plädierten auf Freisprüche, weil keine Beweise vorgelegt worden seien. Weder waren DNA-Spuren noch Fingerabdrücke gefunden worden. Die Leichen der Polizisten seien nicht einmal einer Autopsie unterzogen wurde, klagen sie an. Die Angeklagten hatten aber angezeigt, über Folter seien Geständnisse aus ihnen herausgepresst worden. Marokko wird von Menschenrechtsorganisationen stets systematischer Folter beschuldigt. Im vergangenen Herbst hatte der UNO-Sonderberichterstatter für Folter nach einem Besuch im autokratischen Königreich erneut "systematische Folter" kritisiert. Juan Méndez hatte sich eine Woche im Land aufgehalten und besonders auf Vorgänge in Internierungslagern und Gefängnissen in der Westsahara hingewiesen.

Amnesty International (AI) hatte dem Verfahren von vornherein jede Fairness abgesprochen. Die Organisation kritisierte, dass es vor einem Militärgericht stattfand, obwohl die Verfassung einen Strafgerichtshof vorsieht. Auch AI verwies auf deutliche Folter-Hinweise. Brahim Dahan, Präsident der "Vereinigung der Opfer von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen" in der Westsahara, überraschten die Urteile nicht: "Es war ein politischer Prozess nach Normen des Militärs." Gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur EFE fügte der ehemalige politische Gefangene an: "Wir wussten, dass es so kommen würde, obwohl es keinerlei Beweise gab."

Nun wird eine weitere Eskalation erwartet. Die Urteile könnten nach Ansicht von Beobachtern, die angespannte Lage in der Westsahara ins Kippen bringen. Seit Jahren steht Region wieder am Rande eines Krieges. 1991 war zwischen der Befreiungsfront Polisario und Marokko ein Waffenstillstand ausgehandelt worden. Die UNO-Mission wurde zur Überwachung des Referendums über die Unabhängigkeit (Minurso) eingerichtet. Doch die Minurso setzt sich seit zwei Jahrzehnten nicht gegen Marokko durch, das die Abstimmung sabotiert. So war auffällig, dass Marokko das Lager räumen ließ, kurz bevor 2010 in Manhasset (bei New York) wieder zwischen der Polisario und Marokko über eine Lösung verhandelt werden sollte.

Die Saharauis hatten 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) ausgerufen, die inzwischen von 82 Staaten anerkannt ist. Die DARS erstreckt sich über rund ein Drittel der Westsahara und dazu über vier Flüchtlingslager in der Nähe der algerischen Stadt Tindouf, wo fast 200.000 Menschen weiter unter widrigsten Bedingungen auf die Rückkehr in die Westsahara warten, aus der sie einst geflohen sind. Völkerrechtlich ist die Lage weitgehend geklärt, denn der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat Marokko jeden Anspruch auf seinen südlichen Nachbarn rechtsgültig abgesprochen. 2011 entschied auch das Europaparlament, ein Fischereiabkommen mit Marokko auszusetzen, weil es sich auch auf die Gewässer vor der besetzten Westsahara erstreckt hatte.