Spanische Richter und Staatsanwälte gehen auf die Barrikaden

Die Justizreform verfolge das Ziel, eine "unabhängige Justiz abzuschaffen", auch um "Straflosigkeit" für korrupte Politiker zu erreichen

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In Spanien stehen die Zeichen auf Sturm. Das macht die Tatsache deutlich, dass Richter und Staatsanwälte am 20. Februar streiken werden. Fünf Vereinigungen rufen zum Ausstand auf. Anders als Schüler, die seit Montag gegen die Bildungsreform der konservativen Regierung streiken, sind der Streiks sehr ungewöhnlich. Doch für viele ist die Schmerzgrenze überschritten. Der neue Vorstoß von Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Am Freitag kündigte er an, zwei Artikel im Gesetz zur Rechtspflege würden ausgesetzt. Damit, so räumt das Ministerium ein, soll die Erneuerung der Mitglieder des Kontrollrats für Justizgewalt (CGPJ) schon nach den Kriterien eines Gesetzes erfolgen, das noch nicht verabschiedet ist. Das wird von allen Richtervereinigungen und vom CGPJ abgelehnt. Die CGPJ-Sprecherin Margarita Robles hält es für "außerordentlich, einzigartig und unverständlich" für einen Rechtsstaat, ein Gesetz auszusetzen. Erschwerend käme eine ganze Batterie an Maßnahmen hinzu, "um Hindernisse für Richter in einem so wichtigen Moment zu errichten, in dem gegen die Korruption gekämpft wird", meinte Robles.

Richter- und Staatsanwaltschaftsvereinigungen kritisieren, die Reform verfolge im "Hintergedanken" das Ziel, "den Kontrollrat zu bestimmen und de facto die Unabhängigkeit der Justiz abzuschaffen". Es würde ein "Raum der Straflosigkeit" entstehen, von dem die profitierten, die der Korruption beschuldigt werden. Für viele ist es kein Zufall, dass die Maßnahme gerade jetzt kommt, wo praktisch die gesamte Führung der regierenden Volkspartei (PP) - auch Ministerpräsident Mariano Rajoy - unter dem Verdacht steht, hohe Schwarzgeldsummen kassiert zu haben. Das Geld kam vom ehemaligen PP-Schatzmeister Luis Bárcenas. Gegen ihn wird seit 2009 wegen Korruption und illegaler Parteifinanzierung ermittelt. Er verfügte über bis zu 22 Millionen Euro auf einem Schweizer Konto, das vor allem von Baufirmen gespeist worden sein soll.

Doch der Streik fordert auch die Abschaffung von Gebühren, welche die konservative Regierung 2012 eingeführt hat. "Es ist Wahnsinn, wenn die Gebühren höher sind als der Streitwert", meint die Justizangestellte Veni Martín. So sei es oft sinnlos, ein Bußgeld anzufechten, weil die Gebühr dafür 200 Euro betrage. Damit werde der allgemeine Zugang der Bevölkerung zur Justiz verhindert, einige Regionen haben Verfassungsbeschwerde eingelegt. Seit die Gebühren im vergangenen Dezember eingeführt wurden, ist die Zahl zivilrechtlicher Verfahren um 25 Prozent gesunken. Es sei unannehmbar, dass Menschen sich den Gang vor Gericht nicht mehr leisten könnten, meinen Richter und Staatsanwälte. Angesichts von sechs Millionen Arbeitslosen, von denen etwa zwei Millionen keinerlei Unterstützungsleistungen mehr erhalten, trifft das auf immer mehr Menschen zu.

Verlangt werden aber auch Änderungen an Hypothekengesetzen, um das Zwangsräumungsdrama zu beenden. Mehr als 400.000 Wohnungen wurden seit Beginn der Krise schon geräumt. Richter sprechen Räumungstitel aus, weil die Kredite wegen Arbeitslosigkeit nicht mehr bezahlen werden können. Kürzlich griff aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein und stoppte eine Räumung in der Hauptstadt. Denn der Artikel 47 der spanischen Verfassung sieht vor, dass alle "das Recht auf eine menschenwürdige und angemessene Wohnung haben."

Verlangt wird auch eine Reform des Begnadigungsgesetzes. Für viele Richter ist es nicht hinnehmbar, dass die Regierung ohne jede Begründung zu langen Haftstrafen verurteilte Verbrecher vor Haftantritt oder nach kurzer Haftzeit begnadigt. Kürzlich sorgte der Fall von vier Polizisten für Wirbel, die wegen Folter verurteilt worden waren. Dass auch viele wegen Korruption verurteilte Politiker begnadigt werden, sorgt für großen Unmut in Gerichtspalästen. Das Gesetz werde "missbräuchlich" eingesetzt. Die Regierung "maßt sich Funktionen der Judikative", kritisieren auch Richtervereinigungen die nicht zum Streik aufrufen. Rebelliert wird auch gegen die Sparmaßnahmen. Obwohl es zu wenig Richter in Spanien gäbe, springen nun in Krankheitsfällen keine Vertretungsrichter mehr ein. Die Kollegen müssen die Arbeit zusätzlich übernehmen. In Spanien kommen ohnehin nur zehn Richter auf 100.000 Einwohner, im EU-Durchschnitt sind es 20.