Vor Berlin-Besuch auf Merkel-Kurs

Die Kritik an dem verschärften Sparkurs in Spanien wird angesichts der erwarteten tiefen Rezession stärker

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Bevor der spanische Ministerpräsident gestern zum Antrittsbesuch nach Berlin reiste, versuchte Mariano Rajoy und seine Regierung die Bundeskanzlerin zu umgarnen. Gebetsmühlenhaft wird nun in Madrid wiederholt, dass Spanien 2012 sein Defizitziel erfüllen werde. Das ist eine Reaktion auf die Äußerungen des Finanzministers Cristóbal Montoro, der kürzlich gegenüber der Financial Times Deutschland etwas mehr Klartext geredet hatte. Montoro bezweifelte, dass das Haushaltsdefizit 2012 wie versprochen auf 4,4 Prozent gesenkt werden könne.

Nachdem Rajoy beim Treffen mit dem portugiesischen Premier in Lissabon schon am Dienstag bekräftigt hatte, man werde die Defizitziele erfüllen, legte Wirtschaftsminister Luis de Guindos am Mittwoch im spanischen Fernsehen nach. Das Ex-Führungsmitglied der Pleitebank Lehman Brothers erklärte am Mittwoch, man werde das Haushaltsdefizit auch in einer Rezession wie versprochen senken. "Wir wissen, dass es nicht einfach wird, doch wir sind eine Verpflichtung eingegangen", sagte der Konservative im Interview. Er redet also ganz ganz nach dem Mund von Angela Merkel und ihren Forderungen nach einer Stabilitätsunion.

Nach Ansicht aller Experten versucht Madrid angesichts der Tatsache, dass das Land in die Rezession abrutscht, das Unmögliche. Die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die spanische Notenbank prognostizieren, dass die spanische Wirtschaft 2012 stark schrumpfen wird. Das Minus könnte 1,5 Prozent noch deutlich überschreiten, schreibt die Notenbank, weil die Steuererhöhungen noch nicht berücksichtigt seien, die den Konsum weiter dämpfen dürften. Darüber will Rajoys Volkspartei (PP) vor allem Geld in die Kassen der hoch verschuldeten Regionen und Städte spülen, die zum Teil praktisch pleite sind.

Doch trotz des Sparkurses, für den die sozialistische Vorgängerregierung von Merkel gelobt worden war, wurde das Defizitziel 2011 verfehlt. Das Haushaltsdefizit dürfte über acht Prozent liegen, statt es auf sechs Prozent gesenkt zu haben. Will es Rajoy nun 2012 auf die mit der EU vereinbarten 4,4 Prozent senken, muss er extrem sparen. Die Rezession macht das noch schwieriger, denn bei früheren Rechnungen wurde davon ausgegangen, dass Spanien 2012 sogar zwei Prozent wachsen werde.

Spanien müsste 2012 mehr als 55 Milliarden Euro einsparen

De Guindos versuchte mit seinen Worten vor allem, dem IWF entgegen zu treten. Der behauptet, dass Spanien aufgrund des Sparkurses das Ziel verfehlen werde. "Der IWF ist eine bedeutsame Referenz, doch er kann sich irren", sagte der Wirtschaftsminister. Die Finanzinstitution hatte im Weltwirtschaftsausblick zum WEF-Treffen in Davos prognostiziert, dass Spanien 2012 um 1,7 Prozent und 2013 erneut um 0,3 Prozent schrumpfen werde. Deshalb erwartet der IWF für 2012 ein deutlich realistischeres Defizit von 6,8 Prozent.

Spanien müsste im laufenden Jahr nicht nur die 16 Milliarden Euro einsparen, wie bisher geplant war, sondern zudem mindestens weiter 40 Milliarden Euro, um die gut zwei Prozentpunkte auszugleichen, die das Land Ende 2011 über dem Defizitziel lag. Dabei sind die Steuerausfälle und steigende Sozialausgaben in der Rezession noch nicht eingerechnet.

Experten verweisen dagegen darauf, dass Spanien relativ gering verschuldet ist. Die 70 Prozent Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegen weit unter dem EU-Durchschnitt und deutlich unter der Verschuldung Deutschlands. Da Unternehmen und Haushalte hoch verschuldet sind, kann die Konjunktur nur über Export und staatliche Maßnahmen gestützt werden. Deshalb plädiert inzwischen auch der IWF dafür, angesichts einer sich abschwächenden Weltkonjunktur nicht zu hart auf die Sparbremse zu treten. Auch Weltbank-Chef Robert Zoellick forderte in der Financial Times zwar Führungsstärke von Merkel, aber die EU solle "ungenutzte Geldmittel" für Strukturreformen einsetzen. Damit könnten Reformer zeigen, wie Strukturveränderungen Arbeitsplätze schaffen und für Finanzierung sorgen.

Spanien hätte nicht nur im Bereich Tourismus und Landwirtschaft Potential und Reformbedarf. Vor allem im Bereich erneuerbarer Energien hat es riesige Möglichkeiten. Das Sonnenland hat zum Beispiel für solarthermische Großanlagen einen Standortvorteil gegenüber Ländern in Nordafrika, die über das Desertec-Projekt bald Europa mit Strom versorgen sollen. Spanien ist längst Teil des europäischen Stromverbunds und verfügt mit Abengoa sogar über Konzerne, die das Know-how zum Bau der Anlagen besitzen.

Im Baskenland wird zum Beispiel seit 2011 schon das erste kommerzielle Wellenkraftwerk betrieben. Statt aber in diese Zukunftstechnologien zu investieren, soll ausgerechnet die Laufzeit des Uralt-Atomkraftwerks Santa Maria de Garoña bis 2019 verlängert werden.

Wenn Rajoy beim Besuch am Mittwoch in Portugal den harten portugiesischen Sparkurs als vorbildlich bezeichnete, sollte er nicht vergessen, dass Portugal nach Angaben der EU-Kommission 2012 sogar noch stärker schrumpfen soll als Griechenland. Und auch die spanischen Nachbarn bekommen ihr Defizit in dieser Situation nicht in den Griff. Ohne einen tiefen Griff in private Rentenkassen hätte es 2011 ebenfalls bei hohen acht Prozent gelegen. So wird auch Portugal demnächst die zweite Nothilfe wie Griechenland und wohl auch den entsprechenden Schuldenschnitt brauchen.