Oktoberfestterror

Vermutlich schüren die Sicherheitsvorkehrungen in München nur die Angst, aber sie offenbaren die Wirksamkeit der "Propaganda der Tat".

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Bayern zeigt sich derzeit, wie man in den Sog der Sicherheit hineingeraten kann, wenn man unsicher ist, wie sich Risiken einschätzen lassen. In München findet das Oktoberfest statt, ein Massenereignis das Millionen von Menschen aus aller Welt anlockt. Nun haben fern am Hindukusch, wo deutsche Soldaten die Heimat verteidigen, die Taliban, die auch nicht mehr in Höhlen leben, sondern Weltbürger mit globaler Vernetzung sind, vor den Wahlen schnell und geringen Aufwand ein Video produziert, in dem sie den Abzug der deutschen Soldaten forderten und mit Anschlägen unter anderem auf das Oktoberfest drohten. Das war erfolgreich.

Eine konkrete Gefahr scheint es nicht zugeben. Das Video gleicht den üblichen Telefonanrufen früherer Zeiten, in denen, aus welchen Gründen auch immer, mit einem Anschlag etwa auf ein Bierzelt gedroht wurde. Nun haben zwar die Taliban in Afghanistan und Pakistan viele, teils schreckliche Anschläge ausgeführt, in den anderen Teilen der Welt waren allerdings eher al-Qaida-Angehörige unterwegs, die auch den Afghanistan-Krieg für sich auszuschlachten suchten. Vermutlich versuchen die afghanischen Rebellen und Islamisten lediglich, den Deutschen mit Propaganda oder psychologischen Operationen Angst einzujagen, um die sowieso breit gegen die Afghanistan-Mission eingestellte Bevölkerung zu motivieren, die Politik entsprechend zu beeinflussen.

Was machen in einer solchen Situation die Verantwortlichen? Sie können zwar davon ausgehen, dass vermutlich nichts passieren wird. Sollte aber doch ein Anschlag etwa auf ein Bierzelt geschehen, wobei dann gleich mit hunderten Toten und Verletzten und viel Panik bei den mit Bier abgefüllten Besuchern zu rechnen wäre, dann würden ihnen natürlich und zu Recht Vorhaltungen gemacht werden. Tatsächlich wäre das Oktoberfest en klassisches „soft target“ und eine gute Gelegenheit für Islamisten, den Westen und seine hedonistische Lebensart zu treffen. Mit der Masse an Menschen, die in einem Bierzelt zusammen gepfercht sind, gibt es optimale Voraussetzungen für eine blutige „Propaganda der Tat“.

Jetzt haben sich also die Verantwortlichen entschlossen, die Theresienwiese mitsamt Bierzelten zu einer Art Hochsicherheitszone zu machen und sie möglichst abzuriegeln ( München im Ausnahmezustand). Fahrzeuge, die Sprengstoff mit sich führen könnten, werden nicht mehr zugelassen oder scharf kontrolliert, Kontrollen müssen ebenso die Besucher über sich ergehen zu lassen, bis sie zu ihrem Vergnügen kommen. Der Effekt der Straßensperren, Kontrollen und Polizeipräsenz ist natürlich nicht, dass sich die Menschen beruhigen. Die demonstrierte Sicherheit schürt die Ängste vor dem Möglichen, was die zirkulierenden Gerüchte belegen, oder macht den Besuch zu einem Mutbeweis.

Die Angsteskalation könnte auch bei den für die Sicherheit Verantwortlichen der Fall sein. Beginnt man einmal zu versuchen, mögliche Anschlagsszenarien zu verhindern, so folgt Schritt auf Schritt. Sicherheitshalber wurden schon einem zwei mutmaßliche Islamisten, ohne jeden konkreten Hinweis, in Haft genommen. Am Mittwoch hat das Bayerische Landeskriminalamt vier weitere mutmaßliche Islamisten vorübergehend festgenommen, die verdächtigt wurden, eine Straftat zu begehen: „Deshalb stürmte ein Sonderkommando mit 54 Beamten am Mittwochvormittag drei Wohnungen in der Klenzestraße im Münchner Glockenbachviertel“, so der Münchner Merkur. „Vier Männer - alle um die 30 und aus dem Balkan - wurden festgenommen.“ Da es keine Hinweise gab, mussten die Vier wieder freigelassen werden. Zur Begründung hießt es, dass man „wegen der aktuellen Terrorgefahr auch kleinen Hinweisen nachgehen" wolle. So eben schafft man Paranoia und hebelt den Rechtsstaat aus.