Getaucht in Blut und Wutgeschwür flüstere ich: Hilf mir

Außer Kontrolle

Über die "Revolution der gebenden Hand" wurde eigentlich schon genug geschrieben. Aber andererseits: ist ein Urvertrauen in Altruismus wirklich sinnig?

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Bevor die Kritik auf mich niederprasselt, die besagt, dass ich doch keine Ahnung von Sloterdijk, Hegel, Hayek und Co. habe: Stimmt. Daher schreibe ich dies hier auch nicht als Artikel, sondern als Blogbeitrag. Daher teile ich auch denjenigen, die Wikipedia momentan nicht bemühen (wollen) gleich mit, dass ich mich in keinster Weise mit diesen Herren messen kann. Ich verfüge weder über einen Doktortitel, ein Diplom, ein (begonnenes) Studium noch über ein Abitur. Daher ist es sicherlich vermessen, ausgerechnet Sloterdijk zu kommentieren und mein angeborenes bzw. anerzogenes Standesbewusstsein, das mich bei einer Diskussion über Tucholsky schlagartig verstummen lässt, hat es mir auch längere Zeit unmöglich gemacht, den Mut zu finden, zur "Revolution der gebenden Hand" etwas zu schreiben.

Nach der langen Bedenkzeit und einigen virtuellen Tritten bin ich jedoch der Meinung, dass ich mehr als schallendes Gelächter oder virtuelle Pfiffe nichts ernten kann, was tragisch ist. Das führt mich zu diesem Blogeintrag.

Ich fühl mich gut, ich steh auf Spenden

Sicher haben die USA eine andere Spendenkultur, doch wundert mich persönlich, dass die Schattenseiten dieser Spendenkultur wenig bis keine Beachtung fanden beim Thema "die Reichen könnten sich besser fühlen, wenn sie freiwillig gäben". Es mag sein, dass sich die Spendenden in ihrer Gutherzigkeit suhlen wie die Glücksschweinchen im Mist, aber auch wenn die Vollkaskomentalität innerhalb Europas (und gerade Deutschlands) immer kritisiert wird: Ist es wirklich so ratsam, statt von einem (wenn auch aus den Fugen geratenen) Staat von einer Einzelperson oder mehreren "Gutherzlern" abhängig zu sein?

Es geht hier ja nicht um den Mäzen, der dem Künstler den Marmor liefert und die Form der Skulptur definiert, es geht doch auch um das Existenzminimum. Zwar hat sich auch in Deutschland der Gesetzgeber das Hintertürchen zur Privatisierung der Hilfe offengelassen, indem er regelmäßig wiederkehrende Leistungen anrechnen darf, doch immerhin bleibt dem Hilfsbedürftigen noch die Chance, sich beim Ausbleiben der Leistung (egal ob in Geld oder Naturalien gezahlt) wieder an den Staat zu wenden. Der private Große Bruder, der hier wohlmeinend einspringt, kann also noch gezähmt werden.

Wird aber der Altruismus von der Leine gelassen, so wird es nicht selten vorkommen, dass die dahintersteckende bösartige Fratze des Sklaventums zum Vorschein kommt. Das gespendete Museum in Ehren, aber an Hand der Tafeln sieht man bereits heute, wie der Staat grundlegende Aufgaben zur Sicherung des Existenzminimums und des sozialen Friedens privatisiert und dies als "Engagement des Volkes" propagiert. Wird nun beispielsweise der Anteil des ALG II, der für Ernährung bestimmt ist, durch die Tafeln aufgefangen, so ist dies der erste Einstieg in eine private Entscheidung über Leben und Tod des einzelnen Hilfebedürftigen. Und es gibt dann keinerlei Rechtsmittel mehr, um sich gegen ein Ausbleiben der Hilfe zu wehren - die ja freiwillig erfolgt (oder eben nicht).

Der Hilfsempfänger ist somit der Gnade des Gebenden ausgesetzt, die je nach Tagesform wechseln kann und letztendlich so viel Sicherheit bedeutet wie die gute Laune eines Sklavenhalters, der die Peitsche einmal zu Hause lässt.

Zwar besprechen die meisten Menschen nur die Spenden in Bezug auf Forschung, Wissenschaft, Kultur, Gesundheit und Sport, aber was bedeutet dies gerade in Bezug auf Gesundheit? Möchte jemand die spontan gesponsorten Studien von LaRoche und Co. lieber von dem momentan spendablen Dieter Bohlen gesponsort sehen, der kurz darauf dieser Forschung den Hahn abdreht, weil er seine neueste Flamme gefunden hat, die ihn mehr zu entzünden weiß als der größte Altruismus?

Deutschland sucht den Supersponsor?

Die Idee, dass immer mehr freiwillig stattfinden würde, wäre kein Zwang vorhanden, zeigt auch die Doppelmoral derjenigen, die in dieser Hinsicht den Begüterten Honig um den Bart streichen. Was ist mit jenen, die, wäre nicht der Zwang vorhanden, für jedes Radio, jeden Fernseher, jeden Computer zu zahlen, bereitwillig ihre monatliche Abgabe leisten würden? Hier findet sich kaum eine Laudatio über das Prekariat, das sich auch ohne Zwänge fair verhalten könnte - es sei denn, es geht darum, dass eben jenes Prekariat seinen Gürtel enger schnallen und sich in edlem Verzicht üben soll. "Was isst Du den Kürbis, wenn er doch dem Reichen besser mundet? Reicht dir die Kartoffel nicht?", scheint in dieser Hinsicht das übliche Vorgehen zu sein.

Bei der glühenden Verteidigung der Begüterten handelt es sich meiner Meinung nach um die Annahme, dass der Mensch im Allgemeinen hilfreich und gut ist (wieder: Diese Meinung wird nicht vertreten, wenn es darum geht, die Missbrauchsquoten von 25% bei ALG-II-Empfängern zu glauben, die ein entweder fehlinformierter oder absichtlich verunglimpfender Clement einst verlautbarte) und ihm nur die Anerkennung dafür fehlt, dass er, wie einst Schindler, seine private Liste von Menschen, die der Rettung würdig sind, verfasst und einhält. Die Schäbigkeit des Menschen, seine dunkle milgramsche Seite, aber wird hier ausgeblendet.

Für den Staat wäre ein solches, auf Spenden ausgerichtetes System natürlich ideal. Sofern man "Staat" mit die "Steuerneinnehmenden" bezeichnet. Von den wenig Begüterten würde man weiterhin Steuern einnehmen, bei den Begüterten aber auf ihre Bereitschaft zum "Altruismus" setzen. Zwar würde dies Steuereinnahmen vereiteln, aber im Zuge von PPP wäre auch dies kein Problem: Einfach das Museum an Herrn Rich verkaufen, der es dann günstig vermietet... oder eben nicht... oder je nach Tagesform...

Und für diejenigen, die, wenig begütert, noch Steuern zahlten, wäre somit immer weniger die Regierung oder ein Gericht der Ansprechpartner für irgendetwas - sondern eben der private "Freund". Oder eher der Große Bruder. Ein Anspruch bestünde ja nicht. Weshalb es auch einfach wäre, die Stimmen des kleinen Bruders sich zu erschleichen und dergleichen mehr. Die Revolution der gebenden Hand, auch wenn sie im vermeintlich kleinen wie Forschung (wie kann man dies nur so herunter"quatschen" als sei es eine Banalität), Gesundheit, Wissenschaft oder Kunst beginnt, läuft auf Leibeigenschaft hinaus.

Sie ist im Endeffekt das, was einst früher Frauen dazu bewog, oft bei den Männern zu bleiben. Sollten sie aufmucken, so wurden sie ohne jegliche Absicherung und Rechte hinsichtlich der weiteren Gelder auf die Straße gesetzt.

In Bezug auf Kunst ist es mittlerweile längst durch Zwänge, Ränkeschmieden und Proporz so geworden, dass die Künstler in die Abhängigkeit von Mäzenen geraten. Es sieht aus als wäre es vielen ein Wunsch, dass sich dies in anderen Lebensbereichen fortsetzt.

Derjenige, der wenigstens noch eine entfernte Möglichkeit hat, sich gerichtlich zu wehren, würde letztendlich nur noch flüstern können: Hilf mir. Und welche Antwort er bekäme, sagt Rorschach hier für mich

Wie anfangs geschrieben ist mir bewusst, dass sich diese Gedanken in keinster Weise mit den Gedanken eines Herrn Sloterdijk messen können und insofern irrelevant sind. Ich wollte sie dennoch kundtun.