Ein (Nicht)gesetz: viele Gewinner

Außer Kontrolle

Das Zugangserschwerungsgesetz soll nun für ein Jahr ausgesetzt werden. Ein Grund, zufrieden zu sein. Oder?

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Selten konnte ein Gesetz, welches nun nicht umgesetzt wird, so viele Menschen zu Gewinnern mutieren lassen. Die Rede ist vom Zugangserschwerungsgesetz, welches wohl den meisten, die hier mitlesen, ein Begriff ist. Für jene, die es nicht kennen, die Kurzfassung: Die (Noch)Familienministerin, Ursula von der Leyen, trat an, die Kinderpornographie im Internet zu bekämpfen, wie sie sagte. Das Mittel der Wahl waren Sperrungen von Seiten mit kinderpornographischen Inhalten.

Natürlich stellten sich viele die Frage, warum denn die Seiten nicht gelöscht werden. Und bei dieser Antwort vergaloppierten sich die Ministerin sowie auch das BKA regelmäßig, erzählten wahlweise von irgendwelchen Ländern, in denen Kinderpornographie ja nicht verboten sei (nur um dann schnell zurückzurudern, nachdem sich die genannten Länder gegen solche Falschaussagen, die dem jeweiligen Land schaden, verwahrten), von der Unmöglichkeit viele Seiten zu löschen (was unter anderem durch den Arbeitskreis Zensur als falsch entlarvt wurde, da es diesem gelang, etliche Seiten schließen zu lassen) usw.

Während also die CDU (samt der rührigen Ministerin) ein gutes Wahlkampfthema hatte, fürchteten Bürgerrechtler eine Ausweitung der Netzsperrenidee (u.a. zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen usw.), die Opposition beklagte die Uneinsichtigkeit der CDU, deren Protagonisten gerne auch nachweislich falsche Zahlen benutzten und die Provider stellten sich auf eine Zensurinfrastruktur ein - nicht zuletzt da die Bundesfamilienministerin, statt auf gesetzliche Regelungen zu bauen, einfach mal Geheimverträge zwischen dem BKA und den Providern initiierte, denen sich, unter dem Druck der Gefahr, Kinderpornographie in der Außenwirkung zu unterstützen, die Provider auch mehrfach beugten.

Nun ist es soweit: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die CDU hat genug von dem Thema profitiert, das Gesetz (es gibt nun doch ein Gesetz) harrt der Unterschrift des Bundespräsidenten und... tusch! Trompete! Pauken!... als erste bürgerrechtsförderliche Amtshandlung kann sich die FDP (ehemals die Opposition, nunmehr in der Regierungskoalition mit der CDU) auf die Fahnen schreiben, dass das Gesetz ein Jahr lang nicht umgesetzt wird. Stattdessen (man ahnt es schon) soll versucht werden, die inkriminierten Seiten zu löschen, um dann ein Jahr später zu evaluieren. Sprich: All das, was Bürgerrechtler von Anfang an forderten, nämlich erst Löschversuche zu dokumentieren, Zahlen zu bieten, die darlegten, wie viele der Löschversuche ins Leere liefen usw. - all das wird nun als der große Erfolg der neuen Bürgerrechtspartei etliche in den Schoß der FDP treiben, die ja auch die neuen Regelungen, die sie sich für ALG II wünscht, als Novum zu verkaufen weiß und als Verbesserung.

Die Familienministerin wird anscheinend demnächst ins Gesundheitsressort wechseln, die CDU hat von dem Missbrauch an Kindern profitiert, indem sie (auch durch den auffällig stillen Dr. Wolfgang Schäuble) ein sinnfreies Gesetz vorantrieb, was nun also erst einmal in der Schublade verschwindet, die FDP hat ihren ersten großen Erfolg und die Zensurgegner können aufatmen, genauso wie die Provider, die nun keine geheimen Sperrlisten umsetzen müssen.

Und was ist mit den Kindern? wird nun der ein oder andere fragen. Aber aber... wer fragt schon danach? Es ist Politik, ihr Lieben. Nur Politik.