Die pfeifenden Spione

Whistleblower aus dem Geheimdienstbereich warnen vor Überwachungsstaat

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Diese Woche trafen sich im niederländischen Alkmar 3.000 Hacker aus aller Welt zu einem ungewöhnlichen Zeltlager. Das Thema IT-Sicherheit und Geheimdienst könnte derzeit nicht aktueller sein. So hatten denn auch die Veranstalter der OHM2013 neben IT-Spezialisten und Hacktivisten auch fünf ehemalige Geheimdienstler eingeladen, die zu Whistleblowern wurden. Übereinstimmend berichteten sie von einem bürgerrechtsfeindlichen Klima nach den Anschläge vom 11. September und warnten vor dem Überwachungsstaat.

Wohl derzeit bekanntester CIA-Whistleblower ist der vormalige Analyst Ray McGovern. Er kam bereits während der Kennedy-Ära zur CIA, wo er 27 Jahre blieb und für das morgendliche Briefing im Weißen Haus verantwortlich war. Nach seiner aktiven Zeit fielen ihm während der Bushregierung etliche Manipulationen auf. 2003 konfrontierte er bei einer Pressekonferenz den damaligen Pentagon-Chef Donald Rumsfeld mit dem Vorwurf der Lüge über Massenvernichtungswaffen im Irak. Im Laufe der Jahre stießen etliche ehemalige CIA-Profis zu McGovern, welche als "Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS)" die Regierungen Bush und Obama kritisch beobachten.

Stolz ist McGovern auf das Whistleblowing des Kollegen Tom Fingar, welcher der offiziellen Darstellung widersprach, der Iran verfüge über ballistische Raketen und angereichertes Uran. In George W. Bushs Memoiren könne man nachlesen, dass sich Bush über diesen Leak sehr geärgert habe, weil der Öffentlichkeit gegenüber nun kein Krieg mehr gegen den Iran begründet werden konnte. McGovern, der fließend deutsch spricht, wies auf Sebastian Haffner hin, der den Übergang des Rechtsstaats zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat dokumentierte und zog Parallelen zur Situation in den USA.

Jesselyne Radack arbeitete im Justizministerium, wo sie mit den Berichten über den "amerikanischen Taliban“ John Walker Lindh befasst war, der 2001 in Afghanistan in Gewahrsam genommen wurde. Dabei fielen Raddack schwere Rechtsverstöße der Ermittler auf, die vertuscht werden sollten. So beruhte der von Justizminister John Ashcroft behauptete Verzicht Lindhs auf einen Anwalt darauf, dass Lindh mitgeteilt worden war, es seien keine Anwälte da. Einem zwischenzeitlich von den Eltern gestellten Anwalt ließen die Behörden nicht zum Mandanten. Radack kündigte schließlich ihren Job und ging an die Presse. Sie ist heute Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin.

Einer ihrer Mandanten war der ebenfalls anwesende Thomas Drake. Der Krypto-Linguist beobachtete für die NSA in den 1980er Jahren die DDR, die u.a. von Flugzeugen heraus abgehört wurde. Später wechselte er in die NSA-Zentrale, wo er u.a. für die Qualitätssicherung zuständig war und bekleidete eine Professur an der National Defense University. 2002 beschwerte sich Drake darüber, dass der damalige NSA-Chef General Michael Hayden bei der Wahl zwischen den Analyse-Programmen ThinThread und Trailblazer gegen den Rat von Experten letzterem den Vorzug gegeben hatte. Trailblazer war nicht mit der US-Verfassung zu vereinbaren, da es die Privatsphäre nicht ausreichend achtete und nach Drakes Meinung außerdem zu teuer sei.

Seine Warnung stieß jedoch auf taube Ohren, das Projekt wurde erst 2006 eingestellt. Nach einem Leak von 2005 an die Presse wurde er 2007 enttarnt und zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Heute schlägt sich der IT-Spezialist in einem Apple-Store durch. Drake war überrascht, als das Bush-Amerika dem DDR-Überwachungsstaat immer ähnlicher wurde, allerdings mit einer ungleich intensiveren Überwachungstechnologie. Die Deutschen seien sensibel für dieses Thema, so Drake, weil sie eine postfaschistische Gesellschaft und sich dessen bewusst seien. Die USA hingegen seien aktuell eine präfaschistische Gesellschaft. Auf dem Chaos Communication Congress in Hamburg 2012 hatte Drake seine Haltung mit den Worten zugespitzt, er wolle nicht in einem Land wie der DDR leben. Während bislang die Politik der USA vom militärisch-industriellen Komplex beeinflusst worden sei, habe man es nunmehr mit einem geheimdienstlich-industriellen Komplex zu tun. Drake wurde neulich von Edward Snowden erwähnt, der wiederum sich dem Zugriff der US-Behörden entzog.

Annie Machon begann 1991 als Analystin beim britischen Inlandsgeheimdienst MI5. Bei ihrer Arbeit stießen sie und ihr damaliger Partner David Shyler auf etliche Missstände. So überwachte das MI5 Politiker, die für die Geheimdienstkontrolle zuständig waren, hörte illegal ab und belog das Parlament. Bombenanschläge der IRA hätten vom MI5 verhindert werden können. Das Paar quittierte 2006 den Dienst und ging an die Öffentlichkeit. Spektakulärste Enthüllung war ein Anschlagsplan des Auslandsgeheimdienstes MI6 auf den libyschen Staatschef Ghaddafi. Nach den Enthüllungen musste das Paar mehrere Jahre ins Exil. Machon ist heute Journalistin, Geheimdienstexpertin und politische Aktivistin. Besonders setzt sie sich für eine Ende des kontraproduktiven "War on Drugs" ein.

Coleen Rowley war eine hochrangige FBI-Beamtin, die für ihren Direktor einen schonungslosen Bericht über das Versagen des US-Inlandsgeheimdienstes im Vorfeld der Anschläge vom 11. September schrieb. Im Bezug auf die dem FBI damals bekannten Informationen über Zacarias Moussaoui hatte sie den Endruck, als sei das FBI sabotiert worden. Ihren Bericht reichte sie eigenmächtig an zwei Senatoren weiter, er gelangte von dort aus schließlich an die Presse. Rowland wundert sich, dass bereits eine Woche nach dem 11. September u.a. mit Folter begonnen wurde, während der Kommissionsbericht erst drei Jahre später vorlag und insbesondere keine Spur in Richtung Irak aufwies. Auch Rowley quittierte den Dienst und kandidierte zwischenzeitlich selbst für den Senat.

Die Ex-Geheimdienstler warben bei den Hackern für den Gedanken des Whistleblowings und ermutigten sie, an Instrumenten gegen Überwachung zu arbeiten. Vielleicht säße im Publikum der neue Assange oder der neue Snowden. Die Whistleblower erhielten von den Hackern eine Standing Ovation.