Hütchenspiele unter der Lammfellmütze

Betrügereien, Korruption, Mangel an Legitimität: Karsais Wahlsieg verbessert die Taktik der Taliban und läßt den Westen planlos und schlecht ausehen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Karzai und die Wiederholungen: Seit gestern steht seine Wiederwahl so gut wie fest. 54,6 Prozent lautet das offizielle - aber noch nicht als gültig erklärte - Endresultat der Präsidentschaftswahlen. Eine zweite Runde ist überflüssig. Und die Betrugsvorwürfe?

"Ich bin sehr, sehr von der Integrität der Wahl und der Integrität des afghanischen Volkes und der Integrität der Regierung in diesem Prozess überzeugt", antwortete Karsai nach Medienberichten. Der auffällige wiederholte Einsatz des Intensitätspartikels "sehr" - eine Sprachfigur, die in der Umgangssprache hierzulande seit einiger Zeit ziemlich beliebt ist ("das hast du sehr, sehr gut gemacht") und von Politikern häufiger angewendet wird - sticht auch aus der anderen Antwort Karsais heraus, mit der er auf die Betrugsvorwürfe reagiert:

"Es gab Regierungsmitarbeiter, die sich parteiisch zu meinen Gunsten verhalten haben, sehr, sehr viele. Und es gab andere Regierungsmitarbeiter, die sich parteiisch zu Gunsten Dr. Abdullahs verhalten haben, sehr sehr, viele."

Die Wiederholungen sollen leisten, was die Wirklichkeit allein - ohne rethorische und andere Korrekturen - nicht zu leisten vermag: Karsai zum Souverän zu machen.

Schon nach der ersten offiziellen Wahl zum Präsidenten, im Jahr 2005, war Karsais Herrschaftsgebiet sehr beschränkt; als "Bürgermeister von Kabul" wurde er verspottet. Außerhalb herrschten andere. Jetzt wird Karsai erneut als Präsident bestätigt werden. Doch für Karsai, für Afghanistan und für den Westen resultiert daraus höchstwahrscheinlich die Zunahme chaotischer Verhältnisse.

Nicht nur die von der UN eingesetzte Beschwerdekommission hat große Zweifel am Wahlergebnis, auch die EU-Wahlbeobachtermission hatte gestern bekannt gegeben, dass ihr mehr als ein Viertel der ausgezählten rund 5, 5 Millionen Stimmen "gefälscht" bzw. "verdächtig" erscheinen. Manche Beobachter aus dem Umfeld der EU-Wahlbeobachterkommission sprechen davon, dass Karsai ohne Manipulationen die 50 Prozent-Marke gar nicht geschafft hätte.

Die Überprüfung der Wahlen wird, so kann mit guten Gründen vermutet werden, aber an der Wiederwahl Karsais nichts ändern. Wichtige Vertreter des internationalen Bündnisses haben sich bereits auf die Erfolgs-Formel von Karsai als geringerem Übel verständigt; der Streit zwischen UN-Spitzenvertretern in Afghanistan über die Gewichtung des Wahlergebnisses zeigt zuletzt, dass man vom Kurs Karsai nicht abweichen will. Auch deshalb, so berichtet die britische Zeitung Times heute, "weil es keinen Plan B gibt".

Für die Afghanen, für die Nato, die sich dort im Krieg befindet, und für die Länder, die ihre Soldaten dorthin schicken, könnte Karsais Wiederwahl für eine weitere Verschlimmerung schlimmer Verhältnisse sorgen. Dass Karsai keine Legitimität hat, wird ihm oft genug vorgehalten werden, nicht nur von den Taliban. Auch sein schärfster Gegenkandidat wird den Vorwurf nicht ruhen lassen. Möglicherweise verschärfen sich dadurch innerafghanische Spannungen, die der Westen bei seinem Versuch, "das Land zu stabilisieren", vernachlässigen konnte. Auch die Warlords, die Karsai aus machtpolitischen Gründen ins Spiel gebracht hat, werden es nun noch weniger nötig haben, Rücksicht auf "demokratische Werte und Regeln" zu nehmen. Aber insbesondere die Taliban werden die mangelnde Legitimität der Regierung Karsai weidlich auszunutzen wissen, um sich selbst als "Kämpfer für das Gute" zu präsentieren. Zumal sich der Vorwurf der Wahklbetrügereien nahtlos an den ganz großen Vorwurf fügt, den man der Regierung Karsai schon seit Jahren macht, landesweit, Schichten und Clans übergreifend: den der Korruption.

Dass die Taliban laut Informationen des US-Kommandeur Mike Mullen nun damit begonnen haben, die "Möglichkeit von schriftlichen Beschwerden über lokale Taliban-Führer" einzuführen, ist ein Signal dafür, dass die Taliban - nach dem geläufigen Vorbild anderer militanter Gruppen - neben der militärischen zunehmend auf eine zivile Strategie setzen, die sich stark von der korrupten Praxis des Gegners unterschiedet und von der Bevölkerung sofort verstanden wird.