Gericht bestraft Notwehrexzess gegen unerwünschte Werbeanrufe

Eine 61-Jährige muss 800 Euro zahlen, weil eine Callcenter-Mitarbeiterin behauptet, nach einer Trillerpfeifenattacke unter Ohrgeräuschsstörungen zu leiden

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In Bereichen, in denen der Staat gegen Schädigungen der Bürger nicht wirksam einschreitet, entsteht ein Druck zum Selbstbehelf. Diesem Druck gab eine 61-jährige Pfälzerin letzten August in der Weise nach, dass sie auf einen unerwünschten Werbeanruf mit einer Trillerpfeife reagierte. Weil die Callcenter-Mitarbeiterin, die sich diesen Pfiff anhören musste, nun über Ohrgeräuschsstörungen klagt, schickte das Amtsgericht Pirmasens der unter Werbeanrufen leidenden Dame einen Strafbefehl in Höhe von 800 Euro. Gegen diesen legte sie Widerspruch ein, weshalb für gestern ein Verhandlungstermin angesetzt wurde.

Kurz vorher zog die Frau ihren Widerspruch jedoch zurück und akzeptierte, dass sie nun als vorbestraft gilt. Das erspart ihr wahrscheinlich hohe Kosten und viel Aufregung, hat aber auch zur Folge, dass interessante Fragen nicht in einem öffentlichkeitszugänglichen Strafprozess diskutiert werden. Etwa die, inwieweit ein Arbeitgeber mit solchen Reaktionen rechnen muss, wenn er fahrlässig oder sogar mutwillig Personen anrufen lässt, die dies als extrem belästigend empfinden und die möglicherweise ähnlich darunter leiden, wie andere unter Ohrgeräuschen.

Ebenfalls offen ist, ob durch ein Telefon wirklich ein Schalldruck erzeugt werden kann, der zu einem Lärmtrauma und einem anschließenden Gehörschaden führt. Herkömmliche Headsets erzeugen nämlich nur bis zu 90 Dezibel. In Foren wird deshalb gemutmaßt, dass die Callcenter-Mitarbeiterin eventuell log, weshalb Audiogramme und Gutachten hier für mehr Klarheit sorgen würden. Solche Fragen könnten allerdings auch in Zivilprozessen gegen die 61-Jährige oder gegen den Callcenterbetreiber geklärt werden.

Die einzige rechtlich ungefährliche Methode, sich wirksam gegen unerwünschte Telefonanrufe zu wehren, besteht nach der Entscheidung des Amtsgerichts Pirmasens im Wechsel der Telefonnummer. Theoretisch können unerwünschte Anrufer zwar auch bei der Bundesnetzagentur angezeigt werden - weil unseriöse Callcenter aber mit unterdrückter Rufnummernanzeige arbeiten, spielt dies in der Praxis kaum eine Rolle. Der Angerufene kann in solch einem Fall lediglich auf die Dummheit des Callcenter-Mitarbeiters hoffen und auf Umwegen nach Anhaltspunkten für eine Identifizierung des Auftraggebers fragen.