"Die Gesellschaft ist vergiftet"

Als Bilanz der zehnjährigen Studie über "Deutsche Zustände" konstatiert der Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer eine massive Zunahme von Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus

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In der über 10 Jahre angelegten Studie über "Deutsche Zustände" des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung ( IKG) unter Leitung von Wilhelm Heitmeyer wurde immer wieder auf die steigende Fremdenfeindlichkeit oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland und den Hang zu rechten und nationalistischen Haltungen hingewiesen. Am Montag wird der abschließende 10. Band vorgestellt. Deutlich wurde in der Studie gemacht, dass diese Tendenzen keineswegs in radikalen Minderheiten zu finden sind, sondern dass sie aus der Mitte der Gesellschaft heraus wachsen (siehe auch: Die Verrohung der Mittelschicht).

In den letzten Jahren hat sich dies in der Ablehnung von Einwanderern, aber vor allem in der des Islam und von Muslimen kondensiert. Die Morde der NSU-Bande an deutschen Muslimen haben demonstriert, dass die rechtsextremen und islamfeindlichen Bewegungen hier ein gemeinsames Ziel gefunden haben, das den einst bei den Rechten herrschenden Antisemitismus abgelöst hat. Diese Entwicklungen lassen sich, wie das Institut in anderen Forschungsprojekten eruiert hat, in ganz Europa feststellen.

Als Bilanz der Studie spricht das Institut von einem "entsicherten Jahrzehnt". Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die sich durch Abwertung und Diskriminierung von Muslimen, Einwanderern oder Behinderten, aber auch von Arbeitslosen, Frauen oder Homosexuellen manifestiert, bereitet für die Sozialwissenschaftler den Boden für die Anwendung von Gewalt etwa durch Rechtsextremisten dar. Diese agieren nicht am Rande der Gesellschaft, sondern fühlen sich durch menschenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung legitimiert und befeuert.

Für Wilhelm Heitmeyer haben während der 10 Jahre langen Studie Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus in Deutschland zugenommen. "Etwa zehn Prozent der Deutschen denken durch und durch rechts", so resümiert er nach Spiegel Online das Ergebnis der letzten Befragung. Zwischen 2010 und 2011 hätten sowohl die Rechtfertigung von Gewalt als auch die Gewaltbereitschaft bei Rechtspopulisten um 16 Prozent zugenommen. Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber Muslimen seien besonders stark angewachsen. Die Hälfte der Deutschen will nicht in eine Gegend ziehen, in der viele Muslime leben. "Die zunehmende Spaltung zersetzt das Miteinander. Die Gesellschaft ist vergiftet", so Heitmeyer.