Zwölf Millionen von Armut bedroht

Würde der Staat nicht mit Sozialleistungen eingreifen, wäre fast jeder vierte in Deutschland "armutsgefährdet"

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Rund zwölf Millionen Menschen in Deutschland (knapp 15 Prozent) waren 2009 von Armut bedroht, beinahe jeder siebte Bundesbürger. Das zeigen die Zahlen des Bundesamtes für Statistik, die heute veröffentlicht werden. Würde der Staat nicht mit Sozialleistungen eingreifen, wäre fast jeder vierte "armutsgefährdet".

Arbeitslose, Kinder und Alleinerziehende führen traditionell die Risikogruppen an. Doch was heißt "armutsgefährdet"?

Im Gegensatz zur "absoluten Armut" in Entwicklungsländern, wo das Existenzminimum den Maßstab liefert, arbeiten die Statistiker in den Wohlstandgesellschaften mit dem Begriff der "relativen Armut". Die absolute Armut gilt - mit der Ausnahme weniger Gruppen (z. B. Obdachlose, Straßenkinder) - als überwunden. "Arm ist demnach eine Person, die im Vergleich zum allgemeinen gesellschaftlichen Standard nicht ausreichend mit bestimmten Ressourcen versorgt ist", so die Statistiker. In das Alltagsleben übersetzt, könnte das bedeuten, dass man am Nötigsten spart, etwa an Heizkosten, Essen, Gesundheitsversorgung, Kleidung, Geräten, Erholung usw.

Freilich arbeiten die Statistiker mit einer rechnerisch exakten Defintion der Armutsgefährdung: Die Europäische Union definiert Menschen als armutsgefährdet, "die mit weniger als 60% des mittleren Einkommens (Median) der Bevölkerung auskommen müssen". In genauen Zahlen heißt das für Deutschland im Jahr 2009 im Bundesdurchschnitt: weniger als 801 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt und weniger als 1.683 Euro für einen Vier-Personen-Haushalt mit Kindern unter 14 Jahren.

Doch sind die Durchschnittswerte des mittleren Einkommens für einzelne Regionen in Deutschland sehr unterschiedlich. In Mecklenburg-Vorpommern wird der Schwellenwert für Armut bei einer vierköpfigen Familie mit 1.422 Euro angegeben und in Baden-Württemberg mit 1.830. Die regionalen Unterschiede spiegeln sich auch in der Zahl der Armutsgefährdeten. So ist in Mecklenburg-Vorpommern beinahe jeder Fünfte von Armut bedroht (23 Prozent), in Baden-Württemberg nur ungefähr jeder neunte (11 Prozent). Das gilt auch für das andere reiche Bundesland im Süden, Bayern.

Insgesamt bestätigen die neuen Zahlen des Bundesamtes für Statistik den altbekannten deutlichen Ost-West-Unterschied: "Hatten in den neuen Ländern (einschließlich Berlin) knapp 20% der Bevölkerung ein erhöhtes Armutsrisiko, waren im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) 13% der Menschen armutsgefährdet."

Die Unterschiede verschärfen sich nochmal für die besonders Gefährdeten, für Erwerbslose und Alleinerziehende und Kinder.

"Auch Alleinerziehende und ihre Kinder waren bundesweit (40%) besonders armutsgefährdet. Während in Hessen (31%) und Baden-Württemberg (33%) rund ein Drittel der Mitglieder von Alleinerziehenden-Haushalten von Armut bedroht waren, traf dies in Sachsen-Anhalt (59%), Mecklenburg-Vorpommern (56%), Sachsen (52%) und Thüringen (51%) auf mehr als die Hälfte der entsprechenden Haushaltsmitglieder zu."

Doch haben die Statistiker bei der Auswertung des Mikrozensus von 2009 auch eine kleine Überraschung gefunden. Im Rentenalter sieht die Sache anders aus:

"Lediglich die 65-Jährigen und Älteren hatten in den neuen Ländern (10%) ein geringeres Armutsrisiko als im früheren Bundesgebiet (13%)."