Männer, die Frauen hassen

Alte Nazis und andere Psychopathen in "Verblendung", der Verfilmung der "Millennium-Trilogie"

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Stieg Larssons "Millennium-Trilogie" ist einer der großen Bestseller der letzten Zeit: Thriller-Literatur, die lesesüchtig macht. Klar, dass die Verfilmung nur eine Frage der Zeit sein würde - überraschenderweise geschah das nun aber nicht in Hollywood. Die Schweden und die ZDF-Produktionstochter "ZDF Enterprises" als Koproduzent waren schneller, und mit Niels Arden Oplevs "Verblendung" kommt jetzt der erste Teil der Trilogie ins Kino.

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(Bild: Warner Bros)

Larsson-Fans muss man gleich vorab erinnern: Eine Literaturverfilmung ist ein Film, also ein Kunstwerk nach eigenen Gesetzen, nicht einfach ein abgepaustes Buch. Daher hat Oplev auch manche Komplexität entfernt, die Story begradigt. Dogmatikern könnte das sauer aufstoßen, wer "Verblendung" aber einfach gelassen als "Film zum Buch" begreift, oder die Vorlage gar nicht kennt, kommt ganz auf seine Kosten, bzw. Lust, auch das Buch zu lesen.

Kapital-Verbrechen im doppelten Sinn

Im Original tragen Buch wie Film den Titel "Männer, die Frauen hassen" und der führt eher auf die Spur, als die diffuse deutsche Abschwächung "Verblendung". Im Zentrum der Handlung steht der Journalist Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist), ein melancholischer Antikapitalist, der vorzugsweise im Milieu der Reichen und Mächtigen Schwedens recherchiert und deren düstere Geheimnisse zutage fördert. In diesem Fall ist es ein superreicher Familienpatriarch, der sich an ihn wendet: Vor über 40 Jahren verschwand Henrik Vangers Nichte spurlos. Eine Leiche gibt es nicht, aber Vanger glaubt an Mord, und hofft nun auf Blomkvist. Der quartiert sich im Familiensitz Vangers ein, und beginnt alte Akten zu durchwühlen, aber erst mit der Hilfe der Privatdetektivin Lisbeth Salander (Noomi Rapace) gelingt ihm der Durchbruch, und die Entdeckung mehrerer Kapital-Verbrechen im doppelten Sinn.

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Ausschnitt aus dem Trailer (Bild: Warner Bros)

Zusammen fördern beide einen üblen Sumpf aus alten Nazis und anderen Psychopathen zutage. Im Kern geht es um Schuld und Sühne, um das, was geschehen muss, bevor Vergebung möglich ist, und darum, ob es immer Vergebung geben kann, also um die Natur des Bösen. Denn das, was den Faschismus - der hier im Zentrum steht - von allen anderen politischen Ideologien unterscheidet und ihn zu einer Art kollektiver Kränkung des menschlichen Selbstbildes macht: Dass hier das Böse selbst zur Macht kam, nicht ein fehlgeleiteter Idealismus, sondern etwas von Anfang an offen Verbrecherisches, durch und durch Menschenverachtetendes.

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Ausschnitt aus dem Trailer (Bild: Warner Bros)
Auf den Spuren Bergmans

Zugleich führt der Film hier auch auf das allgemeinere Thema, die Frage, warum ausgerechnet in Skandinavien, vor allem in Schweden so viele Kriminalromane entstehen? Er führt mitten hinein ins Zentrum einer moralisch repressiven Gesellschaft, in der Rigorismus, puritanischer Reinheitsszwang, Verdrängung und Gewissensnarzißmus stärker verbreitet scheinen als anderenorts - und damit auf die Folgen von aufgestauten Leidenschaften, heimlichen Wünschen, Verdrängungen. Ist es wirklich nur Zufall, dass das Land, in dem so viele Unterhaltungs(!)-Bücher über Triebtäter und Frauenmörder entstehen, auch die höchste Vergewaltigungsrate Europas hat? In dem jede fünfte Frau über 15 Jahren schon einmal von einem Mann bedroht wurde, fast die Hälfte aller Frauen schon einmal Opfer von Gewalt wurden?

Das Kreisen um Gewissensnöte, Geheimnisse und Abgründe der Seele und verdrängte Vergangenheiten spielt in Film wie Buch jedenfalls eine zentrale Rolle - hierin bewegt sich der Film auf den Spuren Ingmar Bergmans.

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Ausschnitt aus dem Trailer (Bild: Wa)

Nicht weniger als das Buch lebt auch der alles in allem hervorragende, jederzeit spannende Film von den beiden Ermittlerfiguren, in denen sich der Autor ein Selbstbild schuf: Larsson, der bereits vor Veröffentlichung des ersten Buchs 2004 an einem Herzinfarkt starb, war Wirtschaftsjournalist und Rechtsextremismusexperte, der die Schattenseiten des Musterlandes Schweden aufdeckte: Alte Nazi-Connections, Waffenhandel und eben auch die Dialektik von moralisierender Gesellschaft und moralischer Verderbtheit, die Verschlingung von Gut und Böse.