Verfassung via Crowdsourcing

Island setzt Maßstäbe in Sachen Bürgerbeteiligung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Island wird derzeit an einer neuen Verfassung gearbeitet. Ende Juli soll ein Entwurf vorliegen, den die wahlberechtigten Einwohner der Insel dann in einer Abstimmung annehmen oder ablehnen können. Das besondere daran ist, dass nicht nur einige wenige Politiker Vorschläge dafür einbringen, sondern des gesamte Volk. Möglich wird dies dadurch, dass der Verfassungsrat seine Entwürfe wöchentlich im Web veröffentlicht und diese in einem Forum dazu und in Facebook (wo zwei Drittel der Isländer Mitglied sind) kommentieren lässt.

Darüber hinaus sind die Sitzungen des 25-köpfigen Verfassungsrates, der auch auf YouTube und Twitter vertreten ist, nicht nur öffentlich zugänglich, sondern werden auch gestreamt. Der Wirtschaftswissenschaftler Thorvaldur Gylfason, ein Mitglied des Verfassungsrates, meinte gegenüber dem britischen Guardian, dass er überrascht gewesen sei, auf welch hohem Niveau die Online-Diskussionen stattfinden und dass die Verfassung seiner Ansicht nach sogar "im Wesentlichen" im Internet entsteht.

verfassungsrat.JPG
Der isländische Verfassungsrat (Bild: Stjórnlagaráð. Lizenz: CC-BY 2.0)

Mit ein Grund für die ungewöhnliche Offenheit in dem 318.000-Einwohner-Land, das seine letzte Verfassung praktisch vollständig von der dänischen abschrieb, ist der Beinahe-Staatsbankrott von 2008, der problematische Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft enthüllte, die zukünftig deutlich erschwert werden sollen. Dazu will man unter anderem die Transparenz der Verwaltungs- und Gesetzgebungsprozesse erhöhen und Politiker stärker kontrollieren. Auch im Wahlrecht und bei der Ernennung von Richtern dürfte sich einiges ändern.