Warten auf den neuen Berlusconi

Der designierte italienische Minderpräsident Matteo Renzi könnte Berlusconis Werk fortsetzen. Die Reste der Linken sollen verschrottet und die letzten Sozialgesetze geschleift werden

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Die Börse reagierte erfreut auf die Aussicht, dass Matteo Renzi italienischer Regierungschef wird. Das ist nicht verwunderlich. Schließlich klingt Renzis Rhetorik so, als wäre er Pressesprecher eines wirtschaftsnahen Verbandes.

Er hat sich den Beinamen Verschrotter erworben. Verschrotten will Renzi das, was in der Partido Democratico noch an die linke Vergangenheit der Partei erinnert. Da muss man dann schon mit der Lupe suchen. Schließlich ist die PD aus der einst starken kommunistischen Partei Italiens entstanden und kann nach vielen Wandlungen und Spaltungen als eine Mischung aus rechtem Mehrheitsflügel der SPD und Merkel-CDU bezeichnet werden.

Renzi hatte keine kommunistische Vergangenheit, sondern sozialisierte sich in einem der Spaltprodukte der italienischen Christdemokraten, die später in der PD aufgingen. Aus der kommunistischen Traditionslinie gibt es dort längst nicht mehr viel zu verschrotten. Daher ist die Ankündigung von Renzi eher als Drohung zu verstehen, Italien in großer Geschwindigkeit reif zu machen für eine sozialpolitische Schocktherapie.

Wenn die Reform Angst und Schrecken auslöst

In Renzis Rhetorik spielt der Begriff Reform eine wichtige Rolle. Dabei hat bei ihm der Begriff einen Klang, der für die Subalternen mit Angst und Rücknahme erkämpfter Rechte verbunden ist. Diesen Beigeschmack bekam der Reformbegriff in Deutschlands spätestens in der Ära von Gerhard Schröder, den Renzi ebenso wie den britischen Labour-Premier Toni Blair zu seinen Vorbildern erkoren hat.

Bei ihnen hat der Reformbegriff den Wandel durchgemacht. Lange Zeit stand er für eine Politik, die den Kapitalismus nicht abschaffen, aber etwas lebenswerter im Interesse der Subalternen machen wollte. Doch für Schröder, Blair und Co. bedeutete Reform eine Anpassung aller Sphären der Gesellschaft an die Interessen der Wirtschaft und der Märkte. Eine gelungene Reform ist nach dieser Lesart eine, in der die Gewerkschaften möglichst machtlos sind und die Wirtschaft sich möglichst frei entfalten kann. Renzi hat angekündigt, dass er nach seinem Regierungsantritt jeden Monat eine Reform durchsetzen will.

So soll noch im Februar das neue Wahlgesetz samt den dafür nötigen Verfassungsänderungen beschlossen werden. Dafür hat Renzi bereits Vorarbeiten geleistet, als er Vorsitzender der PD, die Regierung Letta aber noch im Amt war. Da traf er sich bereits mit dem ehemaligen Regierungschef Berlusconi, um gemeinsam die neue Verfassung auszuarbeiten. Es gab in der Öffentlichkeit heftige Kritik, dass Berlusconi von Renzi wieder in das politische Geschäft zurückgeholt würde, nachdem er nach einer juristischen Verurteilung sein Mandat verlor und auch keine Ämter annehmen darf.

Das Ziel von Berlusconi und Renzi ist ein Wahlgesetz, das ein Zweiparteiensystem nach US-Vorbild zum Ziel hat. Kleinere Parteien sollen dabei ganz aus dem Parlament verbannt werden. Diese Einschränkung der parlamentarischen Demokratie wird damit begründet, dass so die Parlamentsarbeit effektiver würden. Eine solche Argumentation kennen wir auch in Deutschland von den Verteidigern der Fünf-Prozent-Hürde.

Vorbild Hartz IV

Tatsächlich hat Renzi mehrmals betont, dass er sich an Deutschland in mehrfacher Hinsicht ein Beispiel nehmen will. Vor allem die von ihm anvisierte Reform des Arbeitsmarktes nimmt Anleihen an den Hartz-IV-Gesetzen, die zu einem rasanten Wachstum des Niedriglohnsektors führte. Auch eine Steuer- und Verwaltungsreform steht auf der Agenda Renzis. Sein Machtantritt wird in großen Teilen der Medien und der EU sehr gelobt.

"Renzis brutaler Weg zur Macht. Italiens letzte Chance." Dem Kommentar der Tagesschau ähneln viele Äußerungen zu Renzis Machtübernahme. Im De Standaard heißt es, mit Renz würde die letzte demokratische Karte gezogen:

"Sein Tatendrang ist atemberaubend. Seine Aussichten auf Erfolg sind dagegen höchst zweifelhaft. Und indem er sich selbst zur einzigen Alternative in einem zerfressenen politischen System darstellt, pokert er enorm hoch. Wenn er sein Blatt überreizt, dann sind die Folgen unabsehbar. Im politischen Kasino in Rom spielt er nämlich möglicherweise mit den letzten demokratischen Karten."

Eine solche Rhetorik erinnert an Mussolini und Berlusconi. Tatsächlich gibt es Parallelen zum Aufstieg Berlusconis vor nunmehr 2 Jahrzehnten. Auch er profilierte sich als Verschrotter des alten christdemokratisch dominierten Italien. Sein Hauptfeind war die damals schon domestizierte Linke. Auch er wollte Italien fit für den globalen Kapitalismus machen. Daran kann und wird Renzi jetzt anknüpfen.

Die Jahre des Berlusconismus haben zu einer Individualisierung der Gesellschaft geführt, die in viele Kleinunternehmen zerfällt, die fast nur noch als Konkurrenten mit Dumpinglöhnen auftreten. In einer solchen Situation ist eine gewerkschaftliche Interessenvertretung schwer. Dazu trägt eine repressive Gesetzgebung bei, die beispielsweise oppositionelle Gewerkschaften wie die FIOM bei Fiat faktisch illegalisierte. Darauf kann Renzi beim Verschrotten des letzten Restes von Sozialstaat bauen und von der EU wird er auch Unterstützung bekommen, wenn es ihm gelingt, Italien in Form zu bringen für den Kapitalismus des 21 Jahrhunderts.