Vorschub einer braunen Revolution?

Während in der Ukraine die militante Rechte mobil macht, bereitet die EU Sanktionen gegen die Regierung vor

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Ob der jüngste Waffenstillstand in der Ukraine lange hält, ist fraglich. Denn eigentlich schien sich noch vor wenigen Tagen die innenpolitische Situation in der Ukraine zu beruhigen.

Im Parlament war ein Amnestiegesetz verabschiedet worden. Danach sollten alle Gefangenen der Unruhen der letzten Wochen freikommen, obwohl viele von ihnen nachweislich an gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen waren. Darunter sind bekannte Aktivisten ultrarechte Gruppen. Die Regierung hatte zur Bedingung gemacht, dass die Aufrührer die Regierungsgebäude verlassen, die sie seit Wochen besetzt hält. Noch am Wochenbeginn waren von den Besetzern einige Gebäude verlassen worden. Doch die Aktivisten haben sogleich erklärt, sie könnten sie jederzeit wieder besetzen.

Einen Kompromiss mit der Regierung, soviel war für einen großen Teil der Oppositionellen klar, werde es mit ihnen nicht geben. Daher war es auch für Kenner der ukrainischen Verhältnisse nicht so überraschend, dass es nun in den letzten beiden Tagen zu einem erneuten Ausbruch der Gewalt mit 26 Toten kam ( Ausnahmezustand in Kiew). Korrespondenten berichten auf allen Kanälen, wie sich die Oppositionellen mit Molotow-Cocktails und Steinen eindeckten. Auch an Schusswaffen soll es den Oppositionellen nicht mangeln. Das sind eigentlich beunruhigende Zeichen. Eigentlich richtet sich der Aufruhr gegen eine nach bürgerlich-demokratischen Kriterien frei gewählte Regierung. Daher müssten sich jetzt die Staatschefs der EU-Staaten demonstrativ hinter die ukrainische Regierung stellen, diese zur Zurückhaltung und Wahrung des Rechtsstaats aufrufen, aber auch ermahnen, sich keineswegs erpressen zu lassen. Sollte es logistische Probleme geben, könnte die EU Hilfe anbieten. Es wäre nicht das erste Mal, dass die EU einer gewählten Regierung Schützenhilfe gegen eine Opposition gibt, die die Ergebnisse demokratischer Wahlen nicht anerkennen wollen.

Sanktionen gegen demokratisch gewählte Regierung

Doch in der Ukraine ist alles anders. Bundespräsident Gauck, der kein Wort der Kritik an der Zerschlagung der gewaltfreien Blockupy-Demonstration im letzten Mai in Frankfurt/Main verloren hat, verteidigt die ukrainische Opposition ohne ein Wort der Distanz gegenüber jenen, die Steine und Molotow-Cocktails auf Polizisten werfen und Regierungsgebäude besetzen. Verurteilt hat der Bundespräsident die ukrainische Regierung für ihre Gewalt gegen Demonstranten.

Ins gleiche Horn stießen Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande bei ihren routinemäßigen Treffen am Donnerstag. Beide Spitzenpolitiker drohen der ukrainischen Regierung mit Sanktionen, aber nicht den militanten Demonstranten. Besonders weit vorgewagt hat sich der CSU-Politiker Bernd Posselt. Er entwickelte ein Szenario, wie die demokratisch gewählte ukrainische Regierung möglichst schnell von der Opposition abgelöst werden könnte. Der ukrainische Präsident solle zurücktreten Danach solle es Neuwahlen unter OZSE-Kontrolle geben.

Keine Distanz von der extremen Rechten

Neben der einseitigen Verurteilung der ukrainischen Regierung, die einem Umsturzversuch gegenüber steht, fällt noch etwas anderes beunruhigend auf. Weder Gauck noch Merkel oder Hollande, schon gar nicht Posselt fordern die Aufständischen auf, sich von den ultranationalistischen Gruppen in den eigenen Reihen zu distanzieren. Dass wäre wohl auch schwierig, denn die verschiedenen rechten Gruppen haben in der aktuellen ukrainischen Aufstandsbewegung die Rolle einer Avantgarde übernommen. Sie können dabei auf ihre Erfahrungen im Straßenkampf, im Verteidigen von Gebäuden etc. zurückgreifen. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Menschen, die aktuell in der Ukraine auf der Straße sind, Sympathisanten der Ultrarechten sind. Aber die Mehrheit der Regierungskritiker scheint die Hegemonie der Ultrarechten entweder zu unterstützen oder zumindest zu tolerieren.

Einig sind sich die verschiedenen ultrarechten Formationen im Hass gegenüber allen Linken, in ihrem Antisemitismus und ihrer Verehrung der ukrainischen Nationalbewegung um Stepan Bandera, die zwischen den beiden Weltkriegen aktiv wurde und sich den Nationalsozialisten als Bündnispartner andienten ( Hass auf Moskauer, Juden und "andere Unreine"). Nachdem die deutsche Wehrmacht den Krieg gegen die Sowjetunion begann, fungierten die ukrainischen Nationalisten als Kollaborateure. Die Beziehungen waren nicht immer konfliktfrei. Aber beim mörderischen Hass auf Juden und vermeintlichen Kommunisten wollten sich die ukrainischen Nationalisten von den deutschen Nazis nicht übertreffen lassen. Der Gruß der ukrainischen Rechten lautete "Ruhm der Ukraine – Ruhm den Helden". Der Spruch ist in diesen Tagen auf den besetzen Plätzen in der Ukraine häufig zu hören. Beobachter berichten, dass die zahlreich vorhandenen prowestlichen Liberalen, die Teil der Protestbewegung sind, mit den extremen Rechten kooperieren.

Vorbild Ungarn oder Ex-Jugoslawien

Eine solche Gemengelage ist in Osteuropa nicht neu. Ein Beispiel für das Agieren von prowestlichen Liberalen, Konservativen und der extremen Rechte gab es 2006 in Ungarn ( The End of a Beginning). Rund um das fünfzigste Jubiläum des Ungarn-Aufstands von 1956 nahm dieses Bündnis die sozialdemokratische Regierung des damaligen Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany ins Visier. Der hatte zuvor eine Parlamentswahl gewonnen und später eingeräumt, die Bevölkerung nicht über die ökonomische Situation des Landes aufgeklärt zu haben ( Politics of Deception).

Bei den damaligen Unruhen wurde das Gebäude des ungarischen Fernsehens in Brand gesteckt. Denkmäler, die an die Befreiung vom Nationalsozialismus in Ungarn erinnerten, wurden geschändet. Eine antisemitische Stimmung war auf den Protesten deutlich zu vernehmen. Führende Akteure im Herbst 2006 waren die nationalkonservative Fidesz und die extreme Recht Jobbik. Damals wurde der Grundstein für das nationalistische Ungarn gelegt, das seit der Regierungsübernahme von Fidesz durchgesetzt wird.

Auch beim Zerfall Jugoslawiens spielten vor allem auf kroatischer Seite Gruppen der extremen Rechten eine wichtige Rolle. Zahlreiche Neonazis aus Deutschland und anderen europäischen Ländern haben auf Seiten der kroatischen Nationalisten gekämpft. Doch weder die deutsche Regierung noch andere westliche Staaten störten sich an den rechten Gruppierungen.

Der US-Beauftragte Richard Holbrooke bezeichnete in seinem Buch "Meine Mission" die kroatischen Faschisten als "unsere Kettenhunde". Auch nachträglich verteidigte er noch die Kooperation mit den Faschisten: "Jetzt ist nicht die Zeit für Überempfindlichkeiten", später müsse man allerdings "versuchen, sie zu kontrollieren".

Dieses Szenario scheint sich jetzt in der Ukraine zu wiederholen. Um eine demokratisch gewählte Regierung unter Druck zu setzen, die es wagte, eine EU-Kooperation abzulehnen, lässt man die rechten Kettenhunde an der langen Leine agieren. In manchen anderen Konflikten übernehmen Islamisten diese Aufgabe.