Wie rechts ist die Maidan-Bewegung?

Nach dem vorerst geglückten Umsturz in der Ukraine beginnt der Streit um die neue Ordnung und die Frage, welche politischen Kräfte bereit sind, die IWF-Bedingungen durchzusetzen

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Nicht nur in der Ukraine, auch in Deutschland geht der Streit um die Zukunft der Ukraine, die von deutschen Außenpolitikern als Hinterhof bewertet wird, weiter. Zu den Verlierern der letzten Tage gehört eindeutig der Favorit der deutschen CDU, Wladimir Klitschko. Vor Wochen war er noch in den deutschen Medien als neuer Shootingstar aufgebaut worden.

In der Ukraine war die Begeisterung für den Ex-Boxer viel geringer. Nachdem nun Julia Timoschenko wieder auf die politische Bühne zurück ist, hat Klitschko nun eine starke Konkurrentin, denn beide agieren im prowestlich-konservativen Milieu. Zudem kommt Timoschenko durch ihre Haft ein Märtyrerstatus zu.

Für die deutschen Konservativen ist das ganze ein Nullsummenspiel. Schließlich wurde nicht nur Klitschko von der CDU stark unterstützt. Auch die Partei von Timoschenko "Vaterland" hat Beobachterstatus bei der Europäischen Volkspartei und ist Vollmitglied in der Internationalen Demokratischen Union, in der auch die deutschen Parteien CDU/CSU vertreten sind.

Weniger begeistert sind die dagegen Sozialdemokraten und Grüne, die in der Ukraine zurzeit keinen Bündnispartner haben. Der Sozialdemokrat und Ostbeauftragte der Bundesregierung Gernot Erler (SPD) warnt denn auch mit Recht, in Timoschenko die neue Hoffnungsträgerin einer demokratischen Ukraine zu sehen. Sie sei eine Scharfmacherin, die die Oppositionsführung übernehmen will, mahnte er in der FAZ.

Auch viele Kommentatoren sind davon überzeugt, dass Timoschenko von einem großen Teil der Maidan-Bewegung als Politikerin des alten Systems betrachtet wird und daher keine politische Zukunft mehr hat. Folglich richtet sich der Blick von Politberatern und Wissenschaftlern, die den Parteien nahestehen, die noch keinen Bündnispartner in der Ukraine haben, auf die Maidan-Bewegung, einem losen Bündnis, das sich in den neuen politischen Umständen neu sortiert.

Persilschein für die Maidan-Bewegung

Hierin liegt auch der Hintergrund eines Aufrufs, veröffentlicht von der Böll-Stftung und unterzeichnet von international tätigen Politikwissenschaftlern. Schon in der Überschrift erschließt sich die Zielsetzung des Aufrufs: "Der Kiewer Euromaidan ist keine extremistische, sondern eine freiheitliche Massenbewegung zivilen Ungehorsams." Was sich hinter dem Begriff freiheitliche Massenbewegung politisch verbirgt, wird nicht erklärt.

Erst im zweiten Abschnitt erfahren wir auch, dass nicht ein unbestimmter Extremismusverdacht, sondern Berichte über die starke Dominanz von nationalistischen und rechten Bewegungen von den Wissenschaftlern bestritten werden.

"Obwohl wir den rechten Aktivitäten auf dem Euromaidan kritisch gegenüberstehen, sind wir besorgt über eine unerfreuliche Erscheinung in zu vielen internationalen Medienberichten über die jüngsten Ereignisse in der Ukraine. In etlichen Reportagen und Kommentaren wird in der einen oder anderen Weise die Rolle, der Stellenwert und der Einfluss ukrainischer Rechtsradikaler in Kiew überbewertet bzw. fehlinterpretiert.

Einigen Berichten zufolge wird die ukrainische proeuropäische Bewegung von ultranationalistischen Fanatikern unterwandert, getragen oder gar übernommen. Bestimmte Kommentare erwecken den irreführenden Eindruck, dass die ukrainischen Proteste von derartigen Kräften erzeugt wurden oder gesteuert werden. Schockierende Bildmotive, markige Zitate, pauschalisierende Vergleiche und krude historische Bezüge stehen hoch im Kurs.

Damit einher geht eine überproportionierte Gewichtung eines besonders sichtbaren, jedoch politisch zweitrangigen Elements im komplizierten Mosaik der unterschiedlichen Ansichten, Hintergründe und Ziele, welche die hunderttausenden Protestierenden antreiben."

Dabei ist es interessant, dass in dem Aufruf nicht die Präsenz dieser rechten Gruppen bestritten wird. Kritisiert wird vielmehr, dass sie eine zu große Rolle in der Berichterstattung über die Umbrüche in der Ukraine einnehmen würde. Nun hätte man schon dafür gerne Belege haben. Die findet man aber in dem Aufruf nicht.

Tatsächlich war es doch so, dass ein Großteil der deutschen Politiker und Medien recht undifferenziert der Maidan-Bewegung Verdienste im Kampf gegen ein korruptes Regime attestierten und über die rechten Mitkämpfer schwiegen und hinwegsahen.

Weder Bundeskanzlerin Merkel noch Bundespräsident Gauck gingen darauf ein, als sie der Maidan-Bewegung bescheinigten, "unsere Werte" zu vertreten. Auch die grüne Europapolitikerin Rebecca Harms, die in den letzten Monaten häufig in der Ukraine weilte, erwähnte die rechten Mitstreiter mit keinem Wort.

Damit ignoriert sie nicht etwa Warnungen deutscher Medien, sondern einen Aufruf der Jüdischen Konföderation in der Ukraine, die die EU-Gesprächspartner aufforderte, sich von der antisemitischen und rechtsnationalistischen Swoboda-Partei zu distanzieren. Auch in dem Aufruf der Wissenschaftler wird auf den Brief der Konföderation mit keinem Wort eingegangen.

Wenn es in dem Aufruf heißt, "unbestritten ist, dass sich unter den gewalttätigen wie auch unter den friedlichen Protestierenden etliche Rechts- und Linksradikale finden", wollen die Autoren die Totalitarismustheorie unbedingt den ukrainischen Verhältnisse aufzwängen. In der Realität wurden alle Varianten linker Organisationen von rechten Oppositionellen angegriffen. Die Büros der bürokratischen Kommunistischen Partei der Ukraine wurden im Zuge des Umsturzes in mehreren ukrainischen Städten gestürmt, aber auch Vertreter von antiautoritären linken Gruppierungen wurden bedroht, wenn sie bei den Protesten ihre Flugblätter verteilten.

Wollen russische Einflussagenten die ukrainische Opposition ins rechte Licht setzen?

Besonders fragwürdig wird der Aufruf, wenn er Autoren, die auf die rechten Tendenzen in der Oppositionsbewegung hinweisen, unterstellt, zumindest objektiv das Geschäft Russlands zu betreiben.

"Wir vermuten sogar, dass in einigen Berichten, insbesondere solcher kremlnaher Massenmedien, die übermäßige Betonung der rechtsradikalen Elemente auf dem Kiewer Euromaidan nicht auf antifaschistischen Motiven beruht. Im Gegenteil, derartige Berichterstattung kann paradoxerweise womöglich selbst Ausdruck von imperialistischem Nationalismus sein, in diesem Falle von dessen russischer Variation. Mit ihrer gezielten Diskreditierung einer der größten Massenbewegungen zivilen Ungehorsams in der Geschichte Europas liefern die russischen Medienberichte einen Vorwand für die politische Einmischung Moskaus, ja womöglich sogar für eine künftige militärische Intervention Russlands in der Ukraine, ähnlich derjenigen in Georgien 2008."

Da scheint die alte These von der sowjetischen Steuerung hiesiger Protestbewegungen in neuen Gewande wieder recycelt zu werden. In einer am Schluss des Aufrufs genannten Homepage wird gleich vor einem prorussischen Netzwerk gewarnt, das die ukrainische Opposition ins rechte Licht rücken soll.

Dass Berichte über die rechte Präsenz in der ukrainischen Oppositionsbewegung vielleicht doch nicht der Paranoia der Autoren und russischen Einflüsterungsstrategen geschuldet sind, räumen die Verfasser des Aufrufs in einem Satz ein:

"Obwohl wir Spezialisten sind, ringen einige von uns jeden Tag damit, die fortschreitende politische Radikalisierung und Paramilitarisierung der ukrainischen Protestbewegung adäquat zu interpretieren."

Leider erfahren wir dazu nicht mehr in dem Aufruf.

Welche politischen Kräfte können die Ukraine IWF-reif machen

Die Frage ist natürlich, warum kommt der Aufruf gerade jetzt. Die verschiedenen politischen Parteien in Deutschland, auch die Grünen, sind auf der Suche nach ukrainischen Bündnispartnern. Da bietet sich das diffuse Maidan-Spektrum an. Der Aufruf soll ihm eine Art anti-extremistischen Persilschein ausstellen. Denn mit einer Bewegung, die zumindest von rechten Gruppen beeinflusst ist, wäre eine Kooperation in der Öffentlichkeit schwerer zu rechtfertigen.

Welche Rolle den neuen politischen Kräften in einer neugestalteten prowestlichen Ukraine zugedacht ist, hat Gernot Erler in einem article_id=278305: Interview mit dem Deutschlandfunk deutlich gemacht.

"Ich gehe davon aus, dass das Hauptproblem sein wird, eine handlungsfähige Regierung zu haben, die die Konditionen von finanziellen Hilfen auch tatsächlich umsetzen kann", erklärte der Ostbeauftragte der Bundesregierung. Zuvor hat Erler ausgeführt, dass Verhandlungen mit IWF, "in der Vergangenheit und der bisherigen Regierung gescheitert sind, vor allen Dingen an den Bedingungen, die der IWF gestellt hat". Erler machte auch kein Geheimnis über die Schocktherapie, die der IWF der Ukraine verordnen will.

"Der IWF hat zum Beispiel damals Bedingungen genannt, dass auf jeden Fall der Gaspreis angehoben werden muss, weil der stark subventioniert ist und dadurch praktisch dauernd ein Staatsdefizit durch die Energieversorgung der Bevölkerung entsteht. Es wurde auch eine Verringerung der Staatsausgaben verlangt, was zum Beispiel zu einer Verringerung der Gehaltszahlungen und auch der Rentenzahlungen hätte führen müssen. Das war aus Gründen, die man nachvollziehen kann, ein großes Problem für die damalige Regierung, die sich natürlich ausgerechnet hat, dass man sich damit nicht beliebt macht in der Bevölkerung."

Die Frage wird sein, ob sich aus den Reihen des Maidan-Protestes Kräfte finden, die bereit und in der Lage sind, die IWF-Politik, die eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse für große Teile der Bevölkerung bedeuteten würde, umzusetzen.