Nur Sieger bei Österreichs EU-Wahlen

ÖVP (27,7 Prozent) bleibt vorne, SPÖ (23,8 Prozent), FPÖ (20,0 Prozent), Grüne (14,3 Prozent) und NEOs (8,0 Prozent) legen zu

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Nachdem die Liste Hans-Peter-Martin, auf die zuletzt 17 Prozent der Stimmen entfallen waren, 2014 nicht mehr antrat, erfreuten sich die österreichischen Parteien der ungewöhnlichen Situation, ihre Wahlziele gleichzeitig erreichen zu können. Dabei konnte die ÖVP zwar als einzige (abgesehen von den Kleinparteien) ihre Stimmenanteile nicht halten, blieb aber in Führung, was ihr auf Bundesebene seit zehn Jahren nicht mehr gelungen ist. Alle anderen erreichten Zuwächse, wobei auch die NEOs gegenüber ihrem Überraschungserfolg bei der Nationalratswahl zulegen konnten.

Die Erfolge dürften allerdings kaum der inhaltliche Tiefe des österreichischen EU-Wahlkampfs geschuldet sein - viel mehr wohl den Finten und Skurrilitäten, an denen diesmal kein Mangel herrschte

Das begann schon damit, dass die ÖVP, der Wahlsieger von 2009, die eigene Teilnahme anscheinend geheim halten wollte und auf den Plakaten ihren Delegationsleiter Othmar Karas ohne ÖVP-Logo hatte antreten lassen. Dem war beim letzten Mal noch die bewährte innenpolitische Rampensau Ernst Strasser vor die Nase gesetzt worden, gegen den sich Karas aber mit einem erfolgreichen Vorzugsstimmenwahlkampf zur Wehr gesetzt hatte. Obwohl er aber 112.954 Vorzugsstimmen erhalten hatte - und Strasser nur 38.326 - wurde doch Strasser zum Delegationsleiter, was Karas in der Achtung der Österreicher aber nur noch weiter steigen ließ.

Und – wenn ausnahmsweise auch einmal etwas Lob erlaubt sein darf – das durchaus zu recht. Denn wenn er sich bis heute auch kein mitreißendes Charisma angeeignet hat, hebt er sich seit seinem Eintritt ins EU-Parlament doch angenehm von vielen Kollegen ab. So war er seither stets (auch für den Autor dieser Meldung) erreichbar, in der Sache kompetent und auch fair gegenüber den politischen Mitbewerbern, was er anscheinend auch den österreichischen Wählern vermitteln konnte – und was die Strategie der ÖVP aufgehen ließ.

Aber auch die Strategie der SPÖ kann nicht als vollends gescheitert betrachtet werden. So wurde als wesentlicher Schwachpunkt der ÖVP offenbar das hölzerne Auftreten ihres Spitzenkandidaten im TV identifiziert, dem die SPÖ mit dem pensionierten Zeit-im-Bild - Moderator Eugen Freund nun einen echten Vollprofi als Spitzenkandidaten gegenübersetzte.

Nur leistete der sich schon ganz am Anfang den üblen Schnitzer, den Lohn eines „Arbeiters“ rund doppelt so hoch einzuschätzen, als im Schnitt tatsächlich bezahlt wird. Für einen sozialistischen Wahlwerber klang das sehr abgehoben, womit dieses Zugpferd vorerst einmal lahm gelegt war.

Was der SPÖ aber wohl eher unvermutet geholfen hat, war die Einsicht vieler Österreicher, dass die Innenpolitik in der EU keine Rolle spiele, es sich aber als wesentlich erweisen könnte, ob wie bisher ein konservativer oder ein sozialdemokratischer EU-Kommissionschef etabliert werde - und hier wurde anscheinend vor allem in Hinsicht auf die Zustände in Südeuropa ein Unterschied identifiziert, der wirklich einen Unterschied macht, weshalb viele potentielle NEOs und besonders Grün-Wähler strategisch für die SPÖ gestimmt haben dürften.

Allerdings hatten Grüne und NEOs wohl auch von sich aus zu ihren nicht übermäßig hohen Zuwächsen beigetragen. So zeichnete sich die NEOs-Kandidatin Angelika Mlinar zwar offenbar durch ein fröhliches Wesen aus, wie es in politischen Debatten selten zu sehen ist. Nur wirkte sie doch auch reichlich unbedarft und war sich auch nicht zu blöd, zur besten ORF-Sendezeit die Privatisierung der Wasserversorgung für zulässig zu erklären, wo doch selbst ihr Parteichef Strolz gegenüber Telepolis darauf bestanden hatte, „natürliche Monopole“ auszunehmen.

Die Grünen, die es offenbar satt hatten, bei Wahlen immer weit hinter Prognosen wie eigenen Erwartungen zurückzubleiben, haben unter der Parteiführung von Eva Glawischnig und Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek diesmal jede wahlwerberische Zurückhaltung fahren lassen. So wurde flächendeckend der inzwischen zurückgetretene und erstinstanzlich zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilte Strasser plakatiert, was auch für viele in der Partei ein unwürdiges „An-den-Pranger-Stellen“ darstellte.

Profitiert dürften die Grünen hingegen von der individuellen Mobilisierungskraft der Listenfünften und Ex-Parteichefin Madeleine Petrovic, die gegen den Listenzweiten Michel Reimon in den Vorzugsstimmen-Kampf zog, wobei die von ihre geführte niederösterreichische Landesgruppe wie nie zuvor für sie lief. Das freilich, um sie loszuwerden - und nach ersten Ergebnissen wohl erfolglos. Scharf und an der Grenze zur Beleidigung war auch die Abgrenzung zu den NEOS - und den Verweis auf die Gurkenkrümmung hätten sich viele potentielle Wähler wohl eher vom erklärten Gegner (also der FPÖ) erwartet: Nur kamen aus dieser Richtung diesmal fast schon staatstragende Töne, die mit rund sieben Prozentpunkten Zuwachs auf 20 Prozent belohnt wurden .

Das war möglich, weil sich der rechte Alt-Intellektuelle Andreas Mölzer, der ursprünglich neben Harald Vilimsky als Spitzenkandidat auserkoren war, durch mehrere Äußerungen ins Abseits gestellt hatte. Dass er die EU öffentlich als „Neger-Konglomerat“ bezeichnet hatte, war dabei das kleinere Problem. Schwerer wog, dass sich eine von Mölzer verantwortete Zeitschrift verbal an Österreichs Fußballstar David Alaba vergriff, was ihn in der Partei endgültig untragbar machte – insbesondere, da Mölzers Ansichten mittlerweile auch vielen überzeugten FPÖ-Wählern reichlich verzopft erscheinen und weil ihm eine bestimmte Abneigung gegen Intellektualität eigen zu sein scheint. Derlei dürfte Vilimsky indes noch nie nachgesagt worden sein: Er enthielt sich allzu starker Sprüche und forderte weder Österreichs EU-Austritt noch eine Zerbrechen der Eurozone.