Neue Wohnungen kontra freies Feld?

Volksbegehren in Berlin: Die Bürgerinitiative, die sich dafür einsetzte, dass das Gelände des früheren Flughafens Tempelhof trotz Wohnungsnot unbebaut bleibt, gewinnt die Abstimmung

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Während am vergangenen Sonntag in den Medien fast nur von den Ergebnissen der Europawahl die Rede war, hatte in Berlin die aus SPD und CDU bestehende Regierungskoalition eine Niederlage bei einem Volksbegehren zu verzeichnen. Dabei konnten die Berliner Wahlberechtigten über die Zukunft des Tempelhofer Feldes abstimmen. Der ehemalige Berliner Flughafen Tempelhof bleibt unbebaut, lautet das Ergebnis.

Wie die Landeswahlleitung mitteilte, setzte sich der Gesetzentwurf der Bürgerinitiative "100% Tempelhofer Feld" nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmen deutlich mit 64,3 Prozent durch.

Sehnsuchtsort stressgeplagter Großstadtbewohner

Bis zur Schließung starteten und landeten dort mitten in der Berliner Innenstadt Flugzeuge. Nachdem der Airport gegen den Widerstand von Union und Teilen der Berliner Wirtschaft geschlossen worden war, hat die Event- und Freizeitgesellschaft innerhalb kurzer Zeit das Areal erobert.

Urban-Gardening, Grillen, Drachensteigen und alle denkbaren Sportarten werden auf diesem Feld ausgeübt, das zum Sehnsuchtsort der stressbeplagten Großstadtbewohner geworden ist. Schon kurz nach der Schließung des Flughafens hatten soziale Initiativen dafür gekämpft, dass der Zaun um das Areal verschwinden soll. Damit konnten sie sich aber nicht durchsetzen.

Auch heute ist das Gelände noch umzäunt und wird über Nacht geschlossen, was aber scheinbar kaum noch jemanden zu stören scheint. Der Widerspruch, der zum Volksbegehren führte, entzündete sich an den Plänen des Berliner Senats, Teile des Areals zu bebauen. Eine neue Landesbibliothek sollte ebenso dort errichtet werden wie neue Wohnungen.

Wohnungsnot in Berlin

Letztere Forderung müsste in großen Teilen der Bevölkerung eigentlich begrüßt werden. Schließlich ist die Wohnungsnot in Berlin seit Jahren ein Dauerthema. Fehlende Wohnungen bieten schließlich auch eine Grundlage für die Mieterhöhungen in Berlin. Denn die Wohnungsnot gibt den Vermietern mehr Macht, die eignen Bedingungen durchzusetzen.

Doch mieten- und wohnungspolitische Initiativen wie Kotti und Co unterstützten die Initiative für das unbebaute Areal. Ähnlich wie weitere Initiativen in der Nähe des Tempelhofer Areals befürchteten sie, dass der Wohnungsbau eher zu einer weiteren Verdrängung von einkommensschwachen Bewohnern führen könnte.

"Das Versprechen der 'bezahlbaren' Wohnungen von 8,-€/Quadratmeter kalt ist allerdings noch nicht mal im Gesetzesentwurf der Regierung, über den wir am 25.Mai abstimmen sollen, verankert“, heißt es dort. Die Vorstellung, dass hier vor allem Wohnungen für ein zahlungskräftiges Klientel geschaffen werden sollen und einkommensschwache Mieter das Nachsehen haben, überzeugte wohl viele Berliner, wie die Abstimmung zeigte.

Sie wollten sicher auch dem selbstherrlichen Regierenden Bürgermeister einen Denkzettel verpassen, der vor allem den Bibliotheksbau zu seinem persönlichen Anliegen gemacht hat. Kritiker werfen Wowereit vor, nichts aus dem Fiasko mit dem neuen Berliner Flughafen gelernt zu haben, der noch immer eine Bauruine ist. Auch das selbstherrliche Auftreten der Senatsmehrheit dürfte eher den Bebauungsgegnern genutzt haben. Sie wurden pauschal als Anhänger des Stillstands stilisiert.

"Wohnungsbau statt Stillstand" lautete dann auch die zentrale Parole der SPD, die vom Senat übernommen wurde. Allerdings gab es auch in der außerparlamentarischen Linken vereinzelt Kommentare, die in der Initiative des Volksbegehrens Naturromantik gegen Mieterinteressen sehen. Initiativen wie die Berliner Mietergemeinschaft hielten sich in der Causa Tempelhofer Feld bedeckt.

Wird in einigen Jahren doch auf dem Gelände gebaut?

Der Senat muss seine Baupläne auf dem Tempelhofer Feld vorerst auf Eis legen. Doch ist damit eine Bebauung des Areals grundsätzlich ausgeschlossen?

Diese Frage beschäftigte auch die Initiative schon vor der Abstimmung. Nicht alle wollten einem dauerhaften Baustopp das Wort reden, sondern durch den Erfolg bei dem Volksbegehren Zeit gewinnen, um über die Nutzung des Feldes neu und ohne Druck zu entscheiden. Das war auch die Motivation von Grünen, Linkspartei und Piratenpartei, die zur Unterstützung des Volksbegehrens aufriefen und gleichzeitig deutlich machten, dass sie sich moderate Bebauung des Feldes in Zukunft durchaus vorstellen können.

"Einen Neuanfang in der Stadtentwicklungspolitik" forderten denn auch die Berliner Grünen am Tag nach dem erfolgreichen Volksbegehren. Die Oppositionspartei sieht in dem Ergebnis vor allem eine Misstrauenserklärung gegenüber Wowereit und der großen Koalition. In dieser Frage dürften sich die Grünen mit Linken und Piraten einig sein.

"Freiraum" mit Vergangenheit

Die Piraten verwendeten im Kontext des Tempelhofer Feldes auch wieder die Metapher des Freiraums, die sehr an den Begriff der Tempelhofer Freiheit erinnert, der in der letzten Zeit von Befürwortern und Gegnern einer Bebauung häufig gebraucht wurde.

Das ist ein zynischer Begriff angesichts der NS-Geschichte dieses Gelände. Bereits im Frühjahr 1933 wurde dort im Columbiahaus ein wildes Konzentrationslager errichtet, in dem Tausende NS-Gegner gefoltert und misshandelt wurden. Das KZ wurde 1934 geschlossen, doch nur wenige Jahre später wurden auf dem Gelände Baracken für Zwangsarbeiter errichtet, die für die deutsche Luftfracht arbeiten mussten.

Es war das Verdienst einer kleinen Berliner Initiative, an diese braune Geschichte des Areals erinnert zu haben. Im Kontext der Diskussion um die weitere Nutzung schien allerdings diese Vergangenheit wieder in den Hintergrund zu treten, was sich eben auch daran festmacht, dass die Metapher von der "Tempelhofer Freiheit" wieder ohne Anführungsstriche verwendet wurde.

In einer Tempelhofer Erklärung werden die historischen Defizite in der Debatte um das Tempelhofer Feld benannt:

"Ausgelassen wird dabei die NS -Geschichte dieses historischen Ortes: Der Flughafen ist zusammen mit dem Flugfeld eine Hinterlassenschaft der NS-Herrschaft, ein Ort von Opfern und Tätern des NS-Regime. Im Flughafen befand sich die 'Flugzeugfabrik des Reichsluftministeriums', die Weserflug GmbH sowie das zweitgrößte Reparatur- und Umbauwerk der Lufthansa AG im damaligen Deutschen Reich. Vor dem neuen Flughafen befand sich bis 1934 das SS-Gefängnis Columbiahaus und bis 1936 das KZ Columbia. Am Rande des Flugfeldes am Columbiadamm befand sich eine der größten Barackenstädte im deutschen Reich."

Es wird sich zeigen, ob bei dem jetzt so viel geforderten Neustart der Debatte diese historische Dimension wieder mit einbezogen wird.