Die USA - in Zukunft geopolitisch ein Papiertiger?

Fehldeutungen der "Obama-Doktrin"

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In den USA spielen sich Kontroversen ab um eine außenpolitische Botschaft, für die Präsident Barack Obama die Militärakademie in West Point als Kanzel gewählt hatte (vgl. "Amerika muss immer führen"); die Republikaner bezichtigen den Präsidenten, er sei dabei, die globale Supermacht in einen Papiertiger zu verwandeln.

Man muss sich von der Dramatik dieses Vorwurfs nicht beeindrucken lassen; die Konkurrenz zwischen den Parteien wird in den Vereinigten Staaten üblicherweise in heftigen Worten ausgetragen. Dennoch - die Grundsatzrede des Präsidenten enthält ungewöhnlich interessante Aussagen, es ist nicht zu hoch gegriffen, sie als "Doktrin" zu bezeichnen; in der Bundesrepublik allerdings haben Politik und Medien sich nur beiläufig mit ihr beschäftigt. Dies überwiegend mit eher irreführendem Tenor - "Weltpolizei war gestern", titelte die "taz", und die "F.A.Z." berichtete über "Zweifel an (US-amerikanischer) Führungskraft".

Dass die Außenpolitiker der deutschen Parteien sich ernsthaft und vielleicht gar kritisch mit der "Obama-Doktrin" auseinandersetzen würden, war nicht zu erwarten. Union und SPD wollen nicht in Verdacht geraten, sich in Entscheidungsprozesse beim Großen Bruder einzumischen, schon die zaghaften deutschen Einwände gegen die Praktiken der NSA haben ja Ärger in Washington erzeugt. Die Grünen verstehen Weltpolitik als Engagement für "westliche Werte", da müssen sie auf die dabei eingesetzten Mittel nicht so genau hinschauen. Und die Partei Die Linke hat Vorsicht walten zu lassen, sie gilt ohnehin als "antiamerikanisch".

Was war nun die Botschaft des Friedesnobelpreisträgers? Hat er vor den künftigen militärischen Führungskräften pazifistische Neigungen offenbart?

Die tatsächlichen zentralen Thesen seiner Rede:

* Den Vereinigten Staaten von Amerika stehe die globale politische
Herrschaftsposition zu und sie würden diese wahrnehmen:

"Die Frage ist nicht, ob wir führen, sondern wie wir es tun."

* Selbstverständlich gehöre dazu auch die Möglichkeit der militärischen Intervention - "ohne andere um Erlaubnis zu fragen".

* Militär sei das "Rückgrat" internationaler Macht der USA.

* Geopolitische Eingriffe sollen dann erfolgen , wenn US-amerikanische "Kerninteressen bedroht sind".

* Prüfen müsse man aber, ob direktes kriegerischen Zupacken in jedem Falle zweckmäßig und erfolgversprechend sei: "Wir müssen nicht in jedes Land einmarschieren". (Hier geht es um nachträgliche methodische Korrektur der US-Strategie gegenüber dem Irak und Afghanistan.) Als falsch müsse erkannt werden, sich in militärische Abenteuer zu begeben, "ohne die Folgen zu bedenken". Die USA so Obama, verfügten "über den besten Hammer", aber nicht jedes "terroristische Problem" out of area stelle einen "Nagel" dar.

* Stärker als bisher seien für die Austragung von internationalen Konflikten Verbündete heranzuziehen. Das können Partnerstaaten sein oder oppositionelle Kräfte in einem als gegnerisch definierten Land. Auch durch die Eingriffsmöglichkeiten von Institutionen wie dem IWF oder der Weltbank seien die USA nicht unbedingt auf "Alleingänge" angewiesen.

Völlig unsinnig wäre es, so zeigt sich, die "Obama-Doktrin" als "Rückfall" in US-amerikanischen Isolationismus zu deuten. Der Präsident der USA will nicht die Supermacht in Rente schicken, sondern
er setzt eben auch und mehr als bisher auf modernisierte Methoden geopolitischer Machtausübung:
Stellvertretende kriegerische Aktionen, Import von "Revolutionen", "Berater"-Tätigkeiten in fremden Territorien, finanzmilitante Operationen etc.

Eigenes, direkt kriegerisches Handeln muss sich rechnen, selbst bei der globalen "Führungsnation".
Das werden auch die Zuhörer in West Point begriffen haben. Der "Hammer" bleibt in US-amerikanischer Hand, aber daneben stehen auch feinere Werkzeuge zur Verfügung, die weniger Staub aufwirbeln.

Übrigens: Die US-Regierung hat jetzt bekannt gegeben, dass sie ihre militärische Präsenz in Osteuropa und im Schwarzen Meer kräftig verstärken will...