Die Angst des Bundesbank-Chefs vor der eigenen Politik

Jens Weidmann fürchtet, dass mit der Nullzinspolitik gefährlich Zeit erkauft wurde, die nun zur Aufweichung des Stabilitätspakts führt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Egal, ob es um Zinsen geht oder um irgendwelche Sondermaßnahmen - am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass die Notenbank für Ziele der Fiskalpolitik eingespannt werden soll", sagte der Bundesbank-Chef noch im Sommer 2012 (siehe Notenbank will unbegrenzt Staatsanleihen kaufen). Bevor das Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) auf den Kurs von EZB-Chef Mario Draghi einschwenkte, warnte er noch, dass ständige Geldspritzen "süchtig machen wie eine Droge".

Kürzlich hat genau der Weidmann mit seinen EZB-Kollegen aber einstimmig den Draghi-Kurs abgesegnet. Der Leitzins wurde praktisch auf Null gesenkt. Die EZB begibt sich mit immer ungewöhnlicheren Maßnahmen auf unbekanntes Terrain und sogar unbegrenztes Gelddrucken wird angepeilt.

Heute macht Weidmann mit einem Gastbeitrag in der "Süddeutschen Zeitung" deutlich, dass ihm wegen der eigenen Politik mulmig ist. Er benennt eine "trügerische Ruhe an den Finanzmärkten, welche die Gefahr birgt, die Lehren aus der Krise für die öffentlichen Haushalte schon wieder zu vergessen".

Weidmann meinte damit, dass die ultralockere Geldpolitik der EZB die Zinsen für Krisenländer über die Geldschwemme der EZB deutlich senkte. So konnten saubere Ausstiege von Portugal und Irland aus dem Rettungsschirm simuliert werden. Sogar Griechenland erhält trotz seiner Lage, die deutlich schlechter als beim Gang unter den Rettungsschirm ist, wieder Geld zu bezahlbaren Zinsen an den Finanzmärkten.

Kaum "habe der Marktdruck spürbar nachgelassen", so der Bundesbank-Chef, kämen aus "dem politischen Raum zahlreiche Forderungen nach Aufweichung" der Stabilitätsregeln. Damit bezieht sich Weidmann auch auf die Forderung von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Während einige durch das "Herausrechnen einzelner Ausgabenkategorien aus den Defiziten" zusätzliche Schulden "trickreich" verschleiern wollten, geben sich andere damit zufrieden geben, dass der Entscheidungsspielraum weit ausgelegt werden könne, weil man damit ohnehin alles "passend machen" könne.

Genau das macht die Troika seit Jahren

Genau das macht die Troika seit Jahren, zu der neben der EZB auch der Internationale Währungsfonds (IWF) auch die EU-Kommission gehören. Denn die erwarteten Ergebnisse ihre Politik wollen sich partout in Ländern wie Spanien, Griechenland, Portugal, Irland… nicht einstellen. So wurden Defizitziele immer wieder nach oben korrigiert und Kreditrückzahlungen auf den St. Nimmerleinstag verschoben, womit auch trickreich Defizite geschönt werden, wie durch spanische Risikoanleihen.

Nun geht man in Brüssel sogar soweit, dass illegale Tätigkeiten wie Drogenhandel, Prostitution und Schmuggel geschätzt und in die Wirtschaftsleistung eingerechnet werden.

Dass die angeblich strikten Fiskalregeln nicht strikt waren und Vorgaben zur Defizitkorrektur gelockert und weich ausgelegt werden, weiß Weidmann. Und er fürchtet eine weitere Aufweichung. Stattdessen müssten die "Fiskalregeln gestärkt werden und mehr Bindungskraft erhalten". Sie sollten "vor politischer Einflussnahme geschützt und durch striktere nationale Haushaltsregeln abgesichert werden".

Dabei läuft das Pferd in seiner EZB in die umgekehrte Richtung. Denn auch Weidmann gibt zu, dass die Geldpolitik der EZB unter politischen Druck geriet; sie sei dazu gewzungen, "den Ausputzer zu spielen - teilweise im Grenzbereich ihres Mandats." Dabei ist auch das geschönt. Früher sprach er sogar von verbotener Staatsfinanzierung. Er gibt auch zu, dass mit der immer zweifelhafteren "Geldpolitik mit niedrigen Zinsen und unkonventionellen Maßnahmen gewissermaßen Zeit gekauft" wurde, die für "fortgesetzte Konsolidierungs- und Reformbemühungen" genutzt werden müsse.

Längst wie Junkies an der Nadel der EZB

Weidmann vermeidet aber, bisherige "Erfolge" der Bemühungen einer Überprüfung zu unterziehen. Zu welchem Ergebnis käme er angesichts seines Leitspruchs: "Wir sollten auch nicht vergessen: Auf einem Berg von privaten oder öffentlichen Schulden lässt sich kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum gründen"?

Im Abgleich mit den "Rettungserfolgen" müsste er feststellen, dass die Schulden in den Krisenländern unter der Troika-Kontrolle sogar explodiert sind. Irland und Portugal sind in die gefährlichen Bereiche der Staatsverschuldung wie Italien und Griechenland vorgedrungen. Statt sich einer Schuldenquote von 60% im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung zu nähern, führten Bankenrettungen dazu, dass die Verschuldungsquote mehr als doppelt so hoch liegt.

Weil Weidmann das weiß, weist er auf das Problem hin, dass sich daraus ableitet, dass Länder mit zu hohen Schuldenquoten eine "künftigen Anstieg der Zinsen nur schwer verkraften können". Er stellt damit fest, dass sie längst wie Junkies an der Nadel der EZB hängen. Dass er beschwört, der EZB-Rat dürfe keinesfalls "eine geldpolitisch notwendige Zinserhöhung mit Rücksicht auf die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen aufschieben", ist angesichts der Politisierung, die er mitträgt, schlicht Makulatur.

Nicht ausgesprochene Wahrheiten

Er spricht die Wahrheit nicht aus, dass Krisenländer nur durch eine umfassende Entschuldung wieder eine Chance erhalten. Und er kritisiert nicht, dass man in all den Krisenjahren vergeblich darauf wartet, dass Banken durch eine Finanztransaktionssteuer an den Kosten ihrer Rettung beteiligt werden. Er sagt nicht, dass wenig gegen massive Steuerhinterziehung getan wird und Steuerschlupflöcher nicht geschlossen werden. In der EU entgehen den Ländern allein dadurch im Jahr geschätzt eine Billion Euro an Steuern, die vor allem von Großunternehmen nicht gezahlt werden.

Damit ließe sich viel Konsolidierung leisten, Defizite und vielleicht sogar Schulden abbauen. Doch Weidmann legt nur nahe, gescheiterte Rezepte noch schärfer anzuwenden. Dabei hat die Troika-Politik, die einfache Bevölkerung mit Kürzungen und Steuern zur Kasse zu bitten, nur dazu geführt, dass deren Kaufkraft wegbricht. Das führte in allen Krisenländern in die Rezession, weil der Konsum erlahmte.

Wenn Weidmann also darauf setzt, diese Art der Konsolidierung verstärkt fortzusetzen, ist der Weg ins Desaster vorgezeichnet. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass sich darüber Schulden abbauen ließen. Der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman hatte einen solchen Kurs schon vor Jahren als "verrückt" und "große Dummheit" bezeichnet. Sein Kollege Joseph Stiglitz warnte vor "katastrophale Folgen".