Putin verschärft Internetgesetz in Russland

Populäre Blogger im Visier

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In Russland ist am Freitag ein neues Internetgesetz in Kraft getreten, mit dem viel gelesene Blogger kontrolliert werden sollen. Offiziell gehört es zu einem Anti-Terror-Paket. Internetaktivisten haben daran aber ihre Zweifel.

Die russische Webgemeinde fluchte am Freitag in sozialen Netzwerken. Nicht einfach so. Es war ihre Portion Zynismus, ihre Art des Protests, mit dem sie sich über ein neues Internetgesetz hermachte, das sie gegen sich gerichtet sieht. Auf Grundlage der darin enthaltenen Regelungen, die nun mit dem 1. August in Kraft getreten sind, könnten sie künftig genau für so etwas belangt werden, weil Fluchen – was in Russland meist ausfallende Fäkalwörter beinhaltet – presserechtlich ausdrücklich verboten ist. Dem Presserecht sind Blogger künftig gleich gestellt, so dass sie auch für Verleumdung oder die Verletzung religiöser Gefühle gerade stehen müssten.

Allerdings betreffen diese neuen Regelungen ausschließlich Blogger mit mehr als 3000 täglichen Lesern. Sie müssen sich demnach offiziell beim Staat registrieren und werden außerdem dazu verpflichtet, auf ihren Seiten eine Vorratsdatenspeicherung vorzunehmen, sprich auch für Leserkommentare. Das gilt übrigens ebenso für Kommunikationsplattformen, also zum Beispiel soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook und Co., die automatisch zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet sind, und zwar zu allem, was russische Nutzer auf ihren Seiten treiben.

Offiziell gehört das Gesetz zu einem umfassenden Maßnahmenpaket im Kampf gegen den Terrorismus. Auf den Weg gebracht wurde es, nachdem es im Dezember vergangenen Jahres zwei blutige Terroranschläge im südrussischen Wolgograd gegeben hat – kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Sotschi. Was die Internetgesetzgebung angeht, so fügt es sich ein in einen Maßnahmenkatalog, der tatsächlich auch Internetsperren unter anderem für extremistische Inhalte vorsieht. Seit Sotschi liegt die Kompetenz dafür allein beim Generalstaatsanwalt.

Vertreter aus Internetwirtschaft - die nicht zwingend regierungskritisch sein müssen - und Aktivisten sehen die Hintergründe dieses konkreten Vorstoßes aber woanders. German Klimenko, langjähriger IT-Manager in Russland, sagte der russischen Tageszeitung "Kommersant", er sieht den freien Fluss von Information in Gefahr. Es gehe darum, “ihn in einem bestimmten Moment unterbrechen zu können“. Die größte Suchmaschine "Yandex", das Pendant zu Google, hat ihre Blogcharts mit den Angaben zu Leserzahlen gestrichen. Und Artjom Kosljuk, führender Aktivist für ein freies Internet, hält das Vorgehen allein für politisch motiviert: „Es geht um die Kontrolle von Bloggern, die Einfluss auf die öffentliche Meinung haben. Das sind vielleicht etwas mehr als 100“, sagte er Telepolis mit Blick auf konkrete Meinungsführer im Netz. „Die Masse wird das nicht betreffen.“

Der politisch einflussreichste Blog in Russland, der von Kremlkritiker Alexej Nawalny, ist seit Monaten gesperrt - offiziell, weil er gegen Auflagen eines gegen ihn verhängten Hausarrests in einem laufenden Verfahren wegen angeblicher Veruntreuung verstoßen haben soll. Nawalnys Blog, bekannt für Enthüllungen zu Korruption unter den Mächtigen im Land, ist nach der Websperre auf andere Server umgezogen. In den vergangenen Monaten wurden außerdem drei - insbesondere im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt - offen putinkritische Onlinemedien von heute auf morgen gesperrt.

Mehr als 60 Anträge auf Registrierung sind nach russischen Medienberichten am Freitag bereits bei der Medienaufsicht eingegangen, darunter von Prominenten und von Gruppen aus dem russischen Facebook-Pendant „Vkontakte“. Denn auch solche Foren fallen praktisch durchaus unter das Gesetz. Wer sich nicht freiwillig meldet, soll erfasst werden. Die Medienaufsicht hat angekündigt, zu diesem Zweck auch eigene Zählsysteme für die Erhebung von Leserzahlen zu entwickeln.