Das virtuelle Phantom

Ein einfacher Versuchsaufbau simuliert den ganz persönlichen Geist

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Nicht nur Menschen mit neurologischen oder psychologischen Diagnosen erleben das Phänomen einer geisterhaften Gestalt, die scheinbar neben einem zu stehen scheint. Bergsteiger berichten ebenso von einem Phantom, welches den eigenen Bewegungen folgt und den Körper schemenhaft-sprachlos begleitet. Wer so ein Erlebnis hat, ist beeindruckt, erzählt er davon, trifft er auf Skepsis. Denn das Problem mit Geistern ist: meistens sieht sie nur einer. Beiden Seiten könnte helfen, dass nachvollziehbare mentale Prozesse für so ein disassoziertes Ego verantwortlich zeitigen, denen Wissenschaftler jetzt auf die Spur gekommen sind.

Zusammen mit Giulio Rognini hat der Neurologe Olaf Blanke von der EPFL einen Versuchsaufbau entwickelt, der aus zwei Robotern besteht. Der erste steht vor der Versuchsperson, der zweite dahinter. In eine Vertiefung des ersten Roboters steckt man den Zeigefinger und bewegt diesen. Der zweite Roboter wiederholt mit einem künstlicher Zeigefinger die Bewegungen auf dem Rücken der Versuchsperson. So entsteht ein Gefühl, als ob man sich den Rücken kratzt.

Interessant wurde es nun, als eine Verzögerung von einer halben Sekunden zwischen vorderer Bewegung und hinterer Ausführung eingestreut wurde. Fünf Probanden fühlten plötzlich die Anwesenheit einer weiteren Person im Raum, die hinter ihnen steht und sie kratzt. Wohlgemerkt hatten die Probanden nicht nur das Gefühl, dass sie hier etwas am Rücken berührt, sondern dass dieses etwas eine "reale" Person ist. Zum ersten Mal konnte ein Geist simuliert werden (Abstract der Studie).

Wie kann das passieren? Blanke und sein Team vermuten, dass das Hirn zwei Repräsentationen des Körpers konstruiert, eine starke am üblichen Ort und an der üblichen Stelle und eine schwache in der irrealen Person. In einem anschließenden Experiment konnte Blanke zeigen, dass die Versuchspersonen sich auch anders im Raum lokalisierten. Sie schätzen den Flug eines abgeworfenen Balles länger ein als Probanden ohne Geisterlebnis.

Im Alltag konstruieren Gehirn und Körper zusammen eine Einheit – aber diese ist nicht so fest verdrahtet wie lange geglaubt. Wir leben mit dem selbstverständlichen Gefühl, teil unseres Körpers zu sein, aber diese Selbstverständlichkeit kann aufgebrochen werden. Schon immer haben sensiblere Zeitgenossen, seien sie Heilige, Schamanen, Entrückte oder Verrückte, außerkörperliche Erfahrungen gesucht, um zu anderen Antworten zu kommen oder den Grund aller Dinge zu erfahren. Für einige dieser Erlebnisse steht nun zumindest auf objektiver Ebene eine Begründung zur Verfügung.

Eine erste Spur, ob auch sinnliche statt übersinnliche Prozesse hinter dem Phänomen stecken könnten, entdeckte der Olaf Blanke im Jahr 2006 bei einer Patientin. Als er bestimmte Hirnregionen elektrisch stimulierte, um eine Epilepsieoperation vorzubereiten, sah die Frau plötzlich einen Geist neben sich liegen. Als Blanke die Frau aufforderte, sich hinzusetzen, folgte der Geist diesen Bewegungen nach den Angaben der Frau. Seither findet Blanke immer wieder Beweise, dass Out-of-body-Erfahrungen keine esoterischen Begründungen haben müssen. Die Menschen fühlen in diesen Momenten eine verschobene Version von sich selbst.

Es kann vermutet werden, dass bei außergewöhnlichen Belastungen des Körpers dessen Sensibilität für außerkörperliche Erfahrungen zunimmt. So ließe sich auch erklären, warum gerade Bergsteiger und Wüstengänger von geisterhaften Erscheinungen berichten, zumal hier oftmals optische Markierungen zur Orientierung im Raum fehlen. Für Skeptiker ist die Studie ein gefundenes Fressen. In einem nächsten Schritt wird man eventuell feststellen können, warum manche Menschen ihrem Geist eine eigene Persönlichkeit geben. Auch in der Studie von Blanke gaben drei Probanden an, ein Familienmitglied hinter sich stehen zu haben.