Tödliche Willkommenskultur

Über die Folgen der Flüchtlingspolitik

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Keine großen Schlagzeilen machte die Anzeige, die Überlebende einer besonderen Schiffskatastrophe am 20. Januar 2015 vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegen Griechenland stellten. Am 20. Januar 2014 stoppte die griechische Küstenwache einen Fischkutter. Darin saßen 27 Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien. Einige wollten zu Verwandten nach Deutschland. Die griechische Küstenwache versuchte den Fischkutter zurück auf türkisches Territorium zu drängen und nahm ihn in Schlepptau. In der stürmischen See reißt das Seil und der Fischkutter sinkt. Drei Frauen und acht Kinder sterben (Das griechische Lampedusa).

Einige der Überlebenden machten den Vorfall bekannt und stellten auch die Anzeige. Denn der Grenzeinsatz mit tödlichen Folgen war ganz klar in mehrfacher Weise illegal. Statt die Menschen zu retten, ist die Küstenwache für ihren Tod verantwortlich. Zudem sind solche Push-Back-Aktionen auch ohne tödliche Folgen illegal, weil es den Geflüchteten das Recht nimmt, ihren Asylantrag zu stellen.

Doch ihr eigentliches Ziel, nämlich Deutschland, bleibt für die Geretteten weiterhin unerreichbar. Weil Griechenland das erste Land im Euroraum ist, das sie betreten haben, müssen sie nach den Dublin-Bestimmungen dort ihr Asylverfahren abwarten. Es ist gerade die deutsche Regierung, die gegenüber den Ländern der europäischen Peripherie auf die strikte Einhaltung der Dublin-Regelungen besteht. Selbst für die schwertraumatisierten Überlebenden der Schiffskatastrophe gibt es kein Pardon.

Die tödliche Grenzschutzaktion wird in der aktuellen Dokumentation "Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen" dargestellt, die jährlich von einer Arbeitsgruppe der Antirassistischen Initiative Berlin aktualisiert wird.

Ergebnis gründlicher Recherchearbeit

Die Dokumentation ist, wie jedes Jahr, die Frucht von viel Recherchearbeit unentgeltlich arbeitender Menschen, die die Fälle sichten, Informationen einholen und gegenrecherchieren. Dann erst werden die Meldungen in die Dokumentation aufgenommen. Daher hat sie seit Langem den guten Ruf, dass man sich auf die Informationen berufen kann. Jedes Jahr liefert die Lektüre einen Einblick in das Lagersystem, in dem Flüchtlinge noch immer zu leben gezwungen sind.

In diesem Jahr steht die Willkommenskultur im Mittelpunkt. "Die derzeitige Proklamierung einer "Willkommens-Kultur" durch dieselbe rassistische Politik kann angesichts der Realität der hier lebenden Flüchtlinge nur als Hohn bezeichnet werden", heißt es in der Dokumentation. Die vielen aufgelisteten Beispiele von Selbstmordversuchen, dem Sterben wegen unterlassener Hilfeleistung und von rassistischen Angriffen sind ein Seismograph für die aktuellen deutschen Zustände.

Am 3. Februar 2014 schluckt eine Frau aus Afghanistan eine Überdosis Medikamente, weil sie ihre Lebensbedingungen nicht mehr aushält. Am 11. Februar 2014 stirbt ein Mann aus Libyen im Asylheim. Er hatte über Schmerzen geklagt, die aber nicht behandelt worden waren. Am 20. Februar 2014 übergießt sich der Iraner Kahve Pouryazdani mit Benzin und zündet sich an. Er stirbt an den Brandverletzungen. Solche Berichte gibt es fast täglich.

Dieser Dokumentation ist eine große Verbreitung zu wünschen. Denn anders als die ganzen Sonntagsreden der Politiker wird hier ein ungeschminktes Bild der deutschen Zustände gezeigt. Die angekündigten Asylverschärfungen dürften ebenso zur weiteren Verschlechterung der Lebenssituation der Geflüchteten beitragen, wie die Ablehnung von Flüchtlingen, die sich nicht nur in den Pegida-Aufmärschen manifestiert.