Historiker: Verfassungsschutz manipulierte Parteien

Neue Studie zur Geschichte des Bundesamts für Verfassungsschutz

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Demnächst erscheint ein Ergebnis der 2011 eingesetzten Historikerkommission, welche die ersten 25 Jahre des deutschen Inlandsgeheimdienstes Bundesamt für Verfassungsschutz beleuchten soll. In einem Vorabbericht zu Keine neue Gestapo der Historiker Constantin Goschler und Michael Wala verrät der SPIEGEL (Print) ein sensibles Staatsgeheimnis der Inlandsspione: Deren Neigung zum Gesetz- und Verfassungsbruch, die in den 1950er und 1960er Jahren ein erschreckendes Ausmaß annahm.

Die Vorstellung, ein Geheimdienst mit mehreren Tausend Mitarbeitern würde sich darauf beschränken, die politische Szene lediglich zu beobachten, war schon immer etwas naiv. Nunmehr steht fest, dass die Verfassungsschützer hinter den Kulissen sehr wohl aktiv in die Politik eingegriffen. So sabotierten die Schlapphüte 1953 den Bundestagswahlkampf der damals noch nicht verbotenen KPD, in dem sie die Lieferung von 30 Millionen Drucksachen umleiteten, so dass diese nicht mehr rechtzeitig genutzt werden konnten.

Die Spione intrigierten auch gegen die zwischen 1952 und 1957 bestehende Gesamtdeutsche Volkspartei, indem sie Gerüchte streuten, diese werde von den Sowjets finanziert. Der Partei, die es nur auf rund 1% Zustimmung brachte, gehörten mit Gustav Heinemann, Johannes Rau und Erhard Eppler immerhin zwei spätere Bundespräsidenten und ein späterer Bundesminister an. Kurioserweise war Heinemann zuvor Bundesinnenminister gewesen und als solcher im August 1950 aus Protest gegen Adenauers Geheimverhandlungen über eine Wiederbewaffnung zurückgetreten. Im November 1950 wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz gegründet und dem Innenministerium unterstellt.

Ein offenes Staatsgeheimnis war stets die Beschäftigung von teils extrem NS-belastetem Personal, was in den Nachkriegsjahrzehnten im westdeutschen Sicherheitsapparat üblich war. Bemerkenswert ist jedoch der Befund, dass jeder Dritte Angestellte oder Beamte des BfV Mitglied der NSdAP gewesen war, von den V-Leuten ganz zu schweigen. Etwa mit Fritz Dorls heuerte man als V-Mann gleich einen Vorsitzenden einer nationalsozialistischen Partei an, nachdem diese gerade vom Bundesverfassungsgericht dicht gemacht wurde. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass etwa die NPD von einem V-Mann des britischen Geheimdienstes gegründet wurde.

Bei einer solch politischen Prägung überrascht es nicht, dass manche Widerstandskämpfer gegen das Dritte Reich als verfassungsfeindliche Kommunisten gesehen wurden. Verfassungsschützer und patriotische Presse pflegten etwa die Legende von der Roten Kapelle, die im Auftrag Moskaus gegen die USA Subversion betreibe. Die Paranoia vor den Roten resultierte in 125.000 Ermittlungsverfahren wegen kommunistischer Umtriebe. Zudem sah man sich zur Überwachung des Fernmelde- und Postverkehrs berechtigt - unter klarem Verstoß gegen Art. 10 des Grundgesetzes in der damaligen Fassung, die erst seit 1968 Ausnahmen vorsieht.

Die Archive des Geheimdienstes, welche die Forscher einsehen durften, waren der Branche von professionellen Vertuschern entsprechend lückenhaft. Ausgerechnet die CIA, die noch vor Jahren bei der Veröffentlichung von betagten Akten über deutsche Geheimdienste keine Zurückhaltung erkennen ließ, zeigte sich bei dieser sogar von den Verfassungsschutzpräsidenten abgesegneten Untersuchung unkooperativ. Jedoch erlauben sich Goschler und Wala dennoch ein Urteil: Das Bundesamt für Verfassungsschutz sei "weitgehend ineffizient und politisch bedeutungslos" gewesen.