NSU-Prozess: Was wissen Wohlleben und Zschäpe – und was sagen sie?

Die beiden Hauptangeklagten wollen den Fragen des Gerichtes antworten – Weitere Verhandlungstermine bis 1. September 2016 angesetzt

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Beate Zschäpes Antworten auf die Fragen des Gerichtes, die für diesen Dienstag vorgesehen waren, wurden verschoben. Die Angeklagte hat am Morgen einen weiteren Antrag auf Entbindung ihrer Alt-Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm gestellt, über den das Gericht erst entscheiden muss. Am Mittwoch (soll nun zunächst Ralf Wohlleben vom Gericht befragt werden, danach dann Zschäpe. Die beiden sind als einzige der fünf Angeklagten im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München weiterhin in U-Haft. Seit Beginn des Prozesses im Mai 2013 hatten sie geschwiegen. Mit ihren Aussagen im Dezember haben sie sich bewegt - so oder so.

Am 9. Dezember 2015 hat Zschäpe eine eineinhalbstündige Erklärung verlesen lassen (vgl. NSU-Prozess: Zschäpe macht sich selber zur Zeugin der Anklage). Nicht, dass sie sich dabei von jeder Schuld frei sprach, war die Nachricht des Tages. Das ist nicht mehr, als das Recht jedes Angeklagten und die demonstrative Empörung vor allem der etablierten Medien darüber insofern scheinheilig. Das wirklich Interessante ihrer Aussage ist etwas ganz anderes:

Die mutmaßliche Rechtsterroristin hat die tendenziöse Anklageversion der Bundesanwaltschaft übernommen, obwohl die längst nicht mehr haltbar ist. Nach Darstellung der Karlsruher Behörde wurden alle Morde und Anschläge ausnahmslos und allein von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen. Mit ihrem Tod sei die terroristische Vereinigung NSU aufgelöst.

Doch nach zweieinhalb Jahren Beweisaufnahme vor Gericht und mittlerweile zehn Untersuchungsausschüssen im Bund und in den Ländern kann man sagen: Es muss viel mehr Täter und Helfer gegeben haben; die zwei Uwe waren nicht bei allen Taten die Haupttäter; und was der NSU genau war, bleibt auch vier Jahre nach seiner Entdeckung im Dunkeln. Zweifel, die auch der vorsitzende Richter Manfred Götzl in seinem Katalog von etwa 60 Fragen an Zschäpe zum Ausdruck bringt.

Bemerkenswert: Unfreiwillig zieht der Richter damit nun auch die Darstellung der Bundesanwaltschaft in Zweifel. Dass die Angeklagte auf die Linie der Anklagebehörde einschwenkt, ist aber trotzdem ein Zeichen von Veränderung. Denn dafür muss es Gründe geben. Und die liegen nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Es scheint, als sei das Spiel neu eröffnet.

Auch Ralf Wohlleben war Teil des NSU-Geflechtes. Er soll die Mordwaffe Ceska-Pistole mit beschafft und Kontakt zum Trio im Untergrund gehalten haben. Das erste bestritt Wohlleben bei seiner Aussage vor Gericht eine Woche nach Zschäpe, am 16. Dezember. Das zweite räumte er ein. Noch 2001 will er das Trio in Zwickau getroffen haben, unter anderem um über den enttarnten V-Mann und ex-Heimatschützer Tino Brandt zu reden. Zu dem Zeitpunkt hatte der NSU bereits mindestens einen Mord und zwei Sprengstoffanschläge verübt.

Ein früherer Bundesanwalt und Verfassungsschutzpräsident von Brandenburg mit Namen Hans-Jürgen Förster war auch im Bundesinnenministerium in der Abteilung Innere Sicherheit tätig. 2002, als das NPD-Verbotsverfahren anstand, will er auf einer Liste von V-Leuten in NPD-Vorständen den Namen Wohlleben gelesen haben. Förster bestätigte das u.a. im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Ralf Wohlleben begleitete damals tatsächlich verschiedene Ämter in der NPD. Unter anderem war er stellvertretender Landesvorsitzender in Thüringen. Außerdem gab es keinen zweiten Wohlleben mit Funktionen in der rechtsradikalen Partei.

Freundin beim Verfassungsschutz

Wohllebens damalige Freundin Juliane W. war V-Frau des Verfassungsschutzes. Juliane W. besaß den Schlüssel zur Wohnung von Uwe Mundlos nach dessen Abtauchen. Damit hatte der Geheimdienst Zutritt zur Wohnung des Gesuchten.

Auf den Tag genau vor einem Jahr, am 13. Januar 2015, begann Wohlleben sich von Zschäpe abzusetzen und im Prozess gegen sie zu arbeiten.

An jenem Tag beantragten seine Anwälte die Vernehmung zahlreicher Nazi-Aktivisten aus Chemnitz und Zwickau sowie einiger Vertreter des Verfassungsschutzes. Die Wohlleben-Verteidigung wollte nachweisen, dass sich das untergetauchte Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe in Chemnitz und Zwickau radikalisierte, nachdem Wohlleben keinen Kontakt mehr zu ihm hatte. Ganz nebenbei zeigte die Wohlleben-Verteidigung damit, dass sie das Trio für die Morde verantwortlich machte.

Das Gericht lud viele dieser Zeugen vor, die zum Beispiel bei Blood & Honour aktiv waren. Es wurde klar, in welch großen Umfeld sich die Untergetauchten bewegt haben mussten. Das veränderte den Prozess und erhöhte vor allem den Druck auf Zschäpe. Ihre Aussage, egal wie sie nun ausfiel, ist Ergebnis dieser Entwicklungen im Prozessverlauf.

Abgelehnt hat der Staatsschutzsenat unter Leitung von Manfred Götzl am Dienstag Anträge auf Vernehmung des früheren Neonazis und V-Mannes Michael von Dolsperg, geborener See. Von Dolsperg gab das rechtsextreme Magazin Sonnenbanner heraus und will unter anderem Mundlos, Böhnhardt, Wohlleben und den Aktivist der Kameradschaft Jena, André Kapke, gekannt haben. Gleichzeitig war er V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Deckname „Tarif“.

Nach seinen eigenen Angaben soll Kapke ihn gefragt haben, ob er das untergetauchte Trio verstecken könne. Er will das dann seinem V-Mann-Führer gemeldet haben, der aber abschlägig reagiert haben soll. Das BfV bestreitet den Sachverhalt. Und Kapke bestritt als Zeuge vor Gericht, von Dolsperg überhaupt zu kennen. Richter Götzl erklärte, zur Erforschung der Wahrheit sei die Vernehmung von Dolspergs nicht nötig – selbst wenn man davon ausgehe, dass dessen Angaben stimmten.

Der Senat hat aber weitere Verhandlungstermine bis zum 1. September 2016 festgesetzt. Der Prozess wird also in ein viertes Jahr gehen. Ob das Spiel tatsächlich neu eröffnet ist, hängt zunächst von Wohlleben und Zschäpe ab.