"Rettet den Volksentscheid"

Nachdem sich Volksentscheide gegen eine Allparteienkoalition mit ihren Anliegen durchgesetzt haben, sollen die Hürden höher gelegt werden

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Zahlreiche soziale Initiativen hatten vor einigen Tagen zu einer Pressekonferenz ins Berliner Haus der Demokratie eingeladen Ihre Transparente und Banner schmückten den Saal der Pressekonferenz und sorgen für beabsichtigte Proteststimmung. Schließlich befürchten die Initiativen eine Einschränkung der direkten Demokratie durch den Berliner Senat.

Die große Koalition plant Änderungen beim Abstimmungsgesetz für die Volksbegehren. Am letzten Donnerstag gingen die Vertreter verschiedener "Berliner Tische", wie die Initiatoren von Volksbegehren genannt werden, auf ihre zentralen Kritikpunkte ein. So will der Senat künftig seine Öffentlichkeitsarbeit gegen Volksbegehren und Volksentscheide aus Steuermitteln finanzieren. Für die Initiatoren der Volksentscheide hingegen würde es in Berlin anders als in anderen Bundesländern auch künftig keinerlei öffentliche Kostenerstattung geben.

"Das Ungleichgewicht zwischen Bevölkerung und Regierung muss verringert statt verstärkt werden“, betont hingegen Tobias Trommer vom Aktionsbündnis A100 stoppen. Es sei ein Unding, dass der Berliner Senat mit seinen Behördenapparat Steuergelder ausgeben will, während die Berliner Tische ihre gesamte Arbeit unbezahlt leisten. Trommer erinnert daran, dass in der Vergangenheit zahlreiche Berliner Tische mit sehr geringen finanziellen Mitteln erfolgreiche Volksbegehren durchgeführt hätten und dabei neben den Senat auch die meisten Medien gegen sich hatten.

Eine zweite Verschärfung in den Senatsplänen liegt darin, dass Unterstützungsunterschriften für Volksentscheide künftig schon dann ungültig sein sollen, wenn eine einzelne Angabe unleserlich ist. Dazu kann schon ein abgekürzter Straßenname führen, auch wenn alle anderen Daten vor allem der Name der unterzeichnenden Person deutlich lesbar sind. Damit würde die Zahl ungültiger Unterschriften völlig unnötig erhöht, monieren die Kritiker.

Großer Druck der außerparlamentarischen Bewegung

Doch in diesem Punkt scheint es in der Politik bereits Bewegung zu geben. So soll nach den aktuellen Plänen jetzt nur das fehlende Geburtsdatum dazu führen, dass eine Unterschrift ungültig ist. Damit könnten sich die Berliner Tische einverstanden erklären.

Die Bewegung in der Politik kann schon als Erfolg der Initiative Rettet den Volksentscheid interpretiert werden. "Wir haben zusammen mit über 70 Tischen und Initiativen einen ersten Aufschrei gegen das Vorhaben des Senats auf den Weg gebracht. Der große Widerhall in nur 7 Tagen hat uns selbst überwältigt“, erklärte Dorothea Härlin vom Berliner Wassertisch.

Den Aufruf "Hände weg vom Volksentscheid" haben neben allen Berliner Tischen auch Umweltinitiativen, Stadtteilgruppen, die Naturfreunde Berlin und die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Verband der Antifaschistinnen und Antifaschisten unterzeichnet. Entsprechend selbstbewusst tritt die Initiative Rettet den Volksentscheid auf. Mit so viel Unterstützung im Rücken wurde auf der Pressekonferenz vom Senat gefordert, die Pläne aufzugeben.

Am kommenden Montag wird sich zeigen, ob der Druck stark genug war. Dann soll über die geplante Gesetzesänderung im Innenausschuss behandelt werden und anschließend dem Abgeordnetenhaus zugeleitet werden. "Wir werden nach dem 15.3. entscheiden, wie wir weiter vorgehen“, betont Trommer.

Volksentscheid für mehr Demokratie?

Eine Idee wird schon eifrig diskutiert: ein Volksentscheid, der die Bestimmungen von Volksentscheid und Volksbegehren in Berlin grundlegend demokratisieren soll. Dann würden nicht nur die Verschlechterungen abgewehrt, sondern auch zahlreiche Bestimmungen geändert, die schon lange von den Berliner Tischen kritisiert werden. Dazu gehört das hohe Quorum für die Anzahl der Unterstützungsunterschriften und der Menschen, die sich an den Abstimmungen beteiligen.

Ein weiterer ständiger Kritikpunkt besteht darin, dass die Bürgerbegehren auf Bezirksebene unverbindlich sind. In Hamburg kann beobachtet werden, ob ein solcher Volksentscheid erfolgreich ist. Dort wurde ein Volksbegehren unter dem Motto Rettet den Volksentscheid mittlerweile eingeleitet. Auch dort plant der Senat, die Hürden für Bürgervoten höher zu hängen. Verhandlungen zwischen der Zivilgesellschaft und den Senat waren vorher gescheitert.

Die Hamburger Initiative "Rettet den Volksentscheid“ will erreichen, dass "die bisher geltenden bürgerfreundlichen Vorschriften für Volksabstimmungen erhalten bleiben. Außerdem sollen Regeln eingeführt werden, um ein faires Nebeneinander von direkter und parlamentarischer Demokratie sicherzustellen“.

Hier werden aber auch die Grenzen der Referenden deutlich. Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen können dadurch nicht durchgesetzt werden. Das zeigte sich beim Berliner Mieten-Volksentscheid , der in der Bevölkerung großen Anklang fand und dann von der SPD ausgebremst wurde.

Bestimmte Maßnahmen wurden übernommen, alle Maßnahmen, die zu grundlegenden Veränderungen hätten führen können, wurden dann weggelassen. Gleichzeitig wurde den Organisatoren vom Berliner Mietentisch deutlich gemacht, dass der Senat den Volksentscheid juristisch blockieren würde, wenn sie nicht auf den Kompromiss eingehen würden.

Die Stadt-AG der Berliner Interventionistischen Linken hat den Druck, der mit dieser Taktik aufgebaut wurde, gut beschrieben. Auf einer stadtpolitischen Aktivenkonferenz sollen die weiteren Schritte beratschlagt werden. Allerdings sind mit Referenden lokal durchaus Erfolge möglich, wie die Ablehnung der Olympiade in Hamburg gezeigt hat. Diese gegen eine Phalanx aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und den meisten Medien erzielte Entscheidung dürfte mit dafür verantwortlich sein, dass die Hürden höher gelegt werden sollen.

Warum nicht auch eine Rechtspopulismusbremse einbauen?

Zudem darf im Zeichen wachsender des wachsenden Rechtspopulismus auch die Gefahr nicht unterschätzt werden, dass künftig auch Referenden gegen Flüchtlingsunterkünfte etc. erfolgreich durchgeführt werden könnten.

Daher wären die Organisationen, die die Volksbegehren retten und erweitern soll, gut beraten, wenn sie eine Klausel mit einfügen würden, die explizit Anliegen solche Themen von Volksentscheiden ausschließen.

Wie über die Todesstrafe nicht per Referendum abgestimmt werden kann, so müsste auch demokratischer Konsens sein, dass der Zuzug von Menschen, die selber nicht einmal mit abstimmen können, kein Gegenstand von Volksentscheiden sein sollte. Bisher stehen Referenden und Volksentscheide unter Finanzierungsvorbehalt, sie dürfen nicht mit den Interessen anderer Bundesländer und natürlich nicht mit den Kapitalinteressen kollidieren. Die Vertreter der direkten Demokratie könnten mit der Rechtspopulismusbremse ein anderes gesellschaftliches Signal aussenden.