Fessenheim außer Kontrolle

Die französischen Behörden haben einen schweren Störfall verheimlicht, als der Reaktor bei Freiburg außer Kontrolle geriet

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Frankreichs Sozialisten haben mit der Energiewende eine Rolle rückwärts gemacht und gegen alle Versprechen bisher den Pannenreaktor in Fessenheim nicht abgeschaltet. Bekannt ist längst, dass das älteste Atomkraftwerk in Frankreich praktisch nicht gegen Flugzeugabstürze und Terrorangriffe geschützt ist, was angesichts islamistischer Terroranschläge längst zur Abschaltung geführt haben müsste. Dazu kommt die Tatsache, dass sogar die atomfreundliche Atomaufsicht festgestellt hat, dass bei einem Erdbeben Schutzfunktionen nicht gewährleistet sind und im Rheingraben bebt es zum Teil kräftig.

Doch nun war es einfaches Wasser, das am 9. April 2014 fast zur Katastrophe am Oberrhein führte. So berichteten die Süddeutsche Zeitung und der WDR, dass 3.000 Liter Wasser, die auch durch Kabelkanäle geflossen sind, zu Kurzschlüssen in diversen Schaltschränken geführt hätten, womit die Leit- und Sicherheitstechnik teilweise lahmgelegt worden sei. Deshalb hätten sogar die Systeme zur Notabschaltung nicht mehr funktioniert, mit denen der Reaktor im Ernstfall schnell heruntergefahren werden soll.

Auch die Bewegungen der Steuerstäbe hätten nicht mehr richtig funktioniert, mit denen sich die Leistung des Reaktors regeln lässt. Sie seien "manövrierunfähig" gewesen und der Versuch, sie abzusenken, "nicht schlüssig" verlaufen. Es sei nicht einmal möglich gewesen, die Steuerstäbe in den Reaktorkern fallen zu lassen, um so den Reaktor abzuschalten. Das ist eine weitere Schutzvorkehrung, die offenbar nicht funktioniert hat. Da die Temperatur des Reaktors unkontrolliert angestiegen sei, wurde zuletzt entschieden, den Reaktor per Einleitung von Bor ins Kühlsystem herunterzufahren, was glücklicherweise gelang.

Obwohl es nach Angaben von Manfred Mertins, einem langjährigen Sachverständigen für Atomkraftwerke und ehemaligen Mitarbeiter der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, um den ersten Fall gehandelt haben dürfte, "wo ein Leistungsreaktor hier in Westeuropa störfallbedingt durch Zugabe von Bor abgefahren werden musste", stuften die Verantwortlichen den schweren Störfall auf der internationalen INES-Skala für nukleare Ereignisse nur mit Stufe 1 und damit sehr niedrig ein. Offensichtlich sollte hier vertuscht werden.

Sogar die Notabschaltung über Bor lief nicht ohne Störung. Das Wasser im inneren Kühlkreislauf sei stärker abgekühlt als vorgesehen. Für den Experten ist das problematisch, denn das deute darauf hin, dass die Temperatur aus dem Ruder gelaufen sei und man zeitweise keine Informationen über den Zustand des Reaktorkerns hatte.

Die Erklärung aus Fessenheim, dass der Reaktor noch am Stromnetz hing, schürt weitere Sorge. Denn im Notfall sollte der Reaktor vom Netz getrennt werden, was auch nicht passiert ist. Ohnehin hätte das Wasser nach Angaben von Mertens nie in sicherheitsrelevante Schaltkästen eindringen dürfen.

Es ist klar, dass es kaum Interesse bei den Betreibern und bei den Behörden gab, über den Vorfall die Öffentlichkeit aufzuklären. Das hätte zwar nicht weiter Wasser auf nicht abgedichtete Schaltkästen geleitet, sondern Wasser auf die Mühlen derer, die die Abschaltung von Atomkraftwerken fordern. Das gilt insbesondere von Uraltreaktoren, wie sie in Spanien sogar wieder in Betrieb genommen werden sollen oder für Meiler wie im belgischen Tihange, die von vielen Rissen durchzogen sind.

In Spanien beklagen sogar die Mitarbeiter der Atomaufsicht, dass es keine Sicherheitskultur gibt. In Frankreich entspricht sie ebenfalls eher einer Kultur, wie man sie von Homer Simpson kennt. So muss man sich nicht mehr wundern, wenn die Chefin der Atomaufsicht (ASN) in Straßburg der Überzeugung ist, dass es "vom Standpunkt der Sicherheit keinen Grund gibt, Fessenheim zu schließen". Sophie Letournel meinte weiter, das sei eine „politische Entscheidung“.

Damit schob sie die heiße Kartoffel weg und versucht das Versagen der ASN zu vertuschen. Die sollte verhindern, dass es zu derlei Vorgängen kommt.

Ein ohnehin gebeutelter Hollande wollte offensichtlich nicht durch einen massiven Störfall daran erinnert werden, das er auch in der Atompolitik seine Wahlversprechen gebrochen hat. Nun wird der Präsident, dessen Amtszeit wie Fessenheim aus Pleiten, Pech und Pannen besteht, auch noch damit konfrontiert, dass ein gravierender Störfall vertuscht wurde.

Seit 2014 gab es allein in Fessenheim 16 Störfälle gegeben, die mit Stufe 1 eingestuft wurden, wie diese fast missglückte Notabschaltung. Was braucht man in Paris noch, um einen offensichtlich hoch gefährlichen Reaktor abzuschalten, der von Straßburg, über Freiburg bis Basel zahllose Menschen bedroht.

Inzwischen spricht man sogar schon in Berlin klare Worte und will die Abschaltung von Fessenheim. Für Umweltministerin Barbara Hendricks ist der Vorfall "ein weiterer Beleg für das Risiko, das vom Betrieb dieses alten Reaktors ausgeht“, weshalb sie von der französischen Regierung fordert, Fessenheim vom Netz zu nehmen.