NSU-Affäre: Unnatürliche Todesfälle

Im NSU-Komplex sind mehrere Zeugen auf merkwürdige Art ums Leben gekommen - Der Bundestagsuntersuchungsausschuss hat die Obduktionsberichte angefordert

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Wenn Zeugen sterben, scheint Gefahr zu herrschen.

Der 31jährige Sascha W. ist der letzte Verstorbene in einer Reihe merkwürdiger Todesfälle, die möglicherweise mit dem NSU-Komplex in Zusammenhang stehen. Am 8. Februar 2016 war W. in seiner Wohnung in Kraichtal, einem Ort zwischen Heilbronn und Karlsruhe, tot aufgefunden worden. (vgl.Link auf 47412) Nach elf Wochen Dauer sind die rechtsmedizinischen Untersuchungen immer noch nicht ganz abgeschlossen. Nur der toxikologische Befund liegt seit wenigen Tagen vor: Er ist negativ. Festgestellt wurde bei dem Toten lediglich Alkohol in nicht übermäßiger Menge. Der feingewebliche Befund steht noch aus. Die Todesermittlungen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe halten an.

Der Tod von Sascha W. bleibt mysteriös, vor allem, weil er mit zwei weiteren Todesfällen zusammenhängt. Er war der Verlobte von Melisa M., die im März 2015 vom NSU-Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg befragt worden war und vier Wochen danach an einer Lungenembolie verstarb. Und Melisa M. wiederum war einmal die Freundin von Florian H., einem Neonazi-Aussteiger, der im September 2013 in seinem Auto verbrannte. Am Tag, als er vom Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg zum Thema NSU vernommen werden sollte. Alles nur Zufälle oder eine Verkettung?

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat vor kurzem die Obduktionsberichte sowie die Ermittlungsunterlagen zu den drei Fällen angefordert. Außerdem die zum Todesfall von Arthur C. (siehe unten). Offensichtlich will er sie überprüfen (Dass im Beweisbeschluss statt Melisa M. Melanie M. steht, ist ein Versehen.) Der NSU-Ausschuss von Baden-Württemberg ist zwar dem Tod von Florian H. und auch dem von Arthur C. nachgegangen, hatte aber keine Veranlassung gesehen, die Todesumstände von Melisa M. und Sascha W. zu untersuchen, immerhin Zeugen dieses Gremiums. Im Fall von Melisa M. hatte sich der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) zu der Aussage verstiegen, das sei nicht durch den Untersuchungsauftrag gedeckt. Im Fall von Sascha W. sah Drexler "keine Anhaltspunkte", dass "ein Unbekannter seine Hände im Spiel" hatte. Einen Bezug zum "NSU" oder der Arbeit des Untersuchungsausschusses wollte er nicht erkennen.

Die Liste toter NSU-Zeugen umfasst bereits mindestens fünf Personen. Alle fünf starben eines nicht natürlichen Todes. Bei allen fünf sind die Todesumstände nicht restlos geklärt. Alle fünf waren jung.

Erster Todesfall: Arthur C., 25. Januar 2009

Der erste Todesfall ereignete sich vor der Aufdeckung des NSU-Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe vom November 2011. Der mögliche Zusammenhang mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 in Heilbronn erschloss sich der Öffentlichkeit damals noch nicht. Die Sonderkommission (SoKo) Parkplatz der heilbronner Kriminalpolizei jagte in jener Zeit eine vermeintliche unbekannte Täterin, deren DNA gefunden worden war. In Wahrheit ein Phantom, denn die DNA kam von einer Mitarbeiterin der Firma, die die Wattestäbchen, mit denen DNA-Spuren gesichert werden, herstellte und verpackte.

Als sich das aufklärte, übernahm im Februar 2009 das LKA die Ermittlungen zum Polizistenmord. Zwei Wochen zuvor, am 25. Januar 2009, wurde gegen 2 Uhr nachts auf einem Waldparkplatz in der Nähe von Heilbronn die verbrannte Leiche von Arthur C. gefunden. Sie lag neben seinem ausgebrannten Auto. Der Parkplatz selber heißt "Abgebrannte Eiche". Arthur war 18 Jahre alt, wohnte in Weinsberg bei Heilbronn und entstammte einer russland-deutschen Familie. Ob Mord oder Selbstmord, konnten die Ermittler nicht klären.

Heute weiß man, dass der Name Arthur C. an mehreren Stellen in den Ermittlungsakten der SoKo Parkplatz zum heilbronner Polizistenmord auftaucht. Der junge Mann soll, so die Bewertung der Ermittler, eine "verblüffende Ähnlichkeit" mit einem der Phantombilder gehabt haben, die die Polizei damals fertigen ließ. Nach ihren Erkenntnissen hatte C. "offensichtlich zu Personen Kontakt, die sich nachweislich am Tatort Theresienwiese aufgehalten haben". Sein Name befindet sich auch auf einer Liste von etwa 20 männlichen Personen in den Akten. Was es mit diesen Personen auf sich hat, ist unklar. Ebenso, ob tatsächlich ein Zusammenhang mit dem Mordanschlag auf die zwei Polizisten Michèle Kiesewetter und Martin Arnold besteht.

Als sich der NSU-Ausschuss von Ba-Wü den Fall Arthur C. vortragen ließ, Ende April 2015, hatte er selber die Ermittlungsunterlagen der SoKo Parkplatz zum Kiesewetter-Mord noch gar nicht vorliegen. Das Innenministerium hatte sie ihm, obwohl der Ausschuss seit fast einem halben Jahr installiert war, zu dem Zeitpunkt noch vorenthalten. Ermittler der SoKo Parkplatz befragte der Ausschuss danach nie zum Fall C.

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