Holzköpfe auf Metall - Freiheit für Fetztöne

Bundesverfassungsgericht erlaubt Remix von Tonfetzen

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Offenbar erstmals äußerte sich das Bundesverfassungsgericht heute zum Urheberrecht. Aufeinander prallten zwei Musikschaffende, die jeweils für sich das Grundrechte der Kunst beanspruchten: Der eine wollte, dass seine Leistung von der Rechtsordnung geschützt werde, der andere, dass ihm der Fortschritt der Kunst nicht durch "Urheberrechte" auf kleinste Tonfetzen erschwert würde.

1977 hatte das Düsseldorfer Musikgenie Ralf Hütter die Schrottplätze Düsseldorfs abgeklappert, um auf das richtige Blech zu hauen. Dann nahm der "Roboter" im Tonstudio alle Kraft zusammen, um ein neues Kraftwerk zu intonieren: Metall auf Metall. Die puristischen Tonkünstler vom Rhein waren mit diesem Meilenstein elektronischer Musik ihrer Zeit um über ein Jahrzehnt voraus.

Rip-Rapper

Zwei Jahrzehnte später flog dem Magier intellektueller Avantgardemusik das Blech weg und landete beim Frankfurter Musikproduzent Moses Pelham, der als Rapper der niedersten Form der Musik frönt. Pelham benutzte 1997 zwei Sekunden des kraftwerkschen Metallsounds und setzte ihn in Dauerschleife, um einen zu Recht vergessenen Song der peinlichen Sängerin Sabrina "Schwester S" Setlur aufzuwerten. Deren belangloses Geträller wäre ohne das Sampling einfach nur erbärmlich.

Diese schändliche Anmaßung erboste den prozessfreudigen Herrn Hütter, der seinen Unbill anders als damals Pelham nicht im Faustkampf, sondern vor dem Landgericht Hamburg austrug. Der Fall landete zweimal vor den Bundesgerichtshof, der sich mit dem Anliegen durchaus schwer tat. Für einen Urheberrechtsschutz war das kurze Gekloppe nämlich nicht schöpferisch genug, denn die Aufnahme war nun einmal keine insoweit erforderliche Melodie.

BGH: Recht des Tonträgerherstellers schützt auch kleinste Tonfetzen

Doch Hütter konnte einen Leistungsschutz des Tonträgerherstellers aus § 85 UrhG geltend machen. Daher entschied der BGH, dass Pelham zwar den Sound hätte nachahmen dürfen, doch eine konkrete Übernahme der fremden Aufnahme sei rechtswidrig. Etwas anderes könne dann gelten, wenn der Fortschritt der Kunst genau einer bestimmten Aufnahme bedarf, die anders nicht zu beschaffen sei. Der BGH lehnte sich an (den eigentlich nicht für § 85 UrhG gedachten) § 24 UrhG an, der die freie Benutzung eines fremden Werks gestattet, solange dieses nicht durchscheint.

Vorliegend allerdings war nicht zu leugnen, dass das "Metall auf Metall" den Setlur-Song prägte. Pelham hätte sich daher dem BGH zufolge auf seinen eigenen Hintern setzen und selber auf Metall rumkloppen können. Damit gewichtete der BGH das "geistige Eigentum" (Art. 14 Grundgesetz) höher als die Interessen der Kunst (Art. 5 Grundgesetz).

Die BGH-Rechtsprechung löste allerdings große Rechtsunsicherheit aus, da neue Kunstformen wie Sampling und Remix nun einmal von der künstlerischen Ausenandersetzung mit fremdem Material leben. Zudem sind die beiden Stücke fundamental verschieden, so dass man nicht ernsthaft von einem Plagiat sprechen kann.

Bundesverfassungsgericht: Eigenständiges Kunstwerk verursacht keinen wirtschaftlichen Schaden

Heute nun verwies das Bundesverfassungsgericht den Rechtsstreit zurück an die Gerichte, welche der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung getragen hätten. Die Kürze der Sequenz müsse berücksichtigt werden, aus jener sei ein neues, eigenständiges Kunstwerk entstanden, ohne dass Kraftwerk dadurch wirtschaftlichen Schaden erlitten habe.

Das vom Bundesgerichtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz sei nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen.

Hütter mag es sportlich nehmen: Kraftwerk gibt noch immer weltweit ausverkaufte Konzerte und genießt höchstes Ansehen. Pelham stieg ins Abmahngeschäft ein, Setlur verschuldete sich und versuchte es dann mit Arbeit und Trashformaten im Privat-TV.

Bundesverfassungsgericht, Az. 1 BvR 1585/13