Ein Signal an Obama und Merkel

Trojanisches Pferd auf der Demo in Hannover: Demonstranten und Redner sehen in Freihandelsabkommen einen verschleierten Abbau von schützenden Regelungen für Verbraucher, Arbeitnehmer oder für die Umwelt. Foto: Stefan Korinth

Zehntausende Menschen protestieren in Hannover gegen die geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und CETA

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Mehrere zehntausend Menschen haben in Hannover gegen die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) demonstriert. Die Veranstalter, ein Bündnis von Sozial- und Umweltschutzinitiativen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen, politischen Parteien und weiteren Organisationen, zählten 90.000 Demonstranten. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl auf 35.000. Mehr als 130 Organisationen hatten zur Teilnahme aufgerufen.

Zehntausende Menschen protestierten gestern auf hannoverschen Straßen gegen TTIP und CETA. Foto: Stefan Korinth

Die Großdemonstration sollte den Veranstaltern zufolge ein deutliches Signal sein an Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama, die am heutigen Sonntag in Hannover zusammentreffen und im Schloss Herrenhausen über TTIP sprechen wollen. "90.000 Menschen - an dieser Zahl kommen Merkel und Obama nicht vorbei", rief Moderatorin Maritta Strasser unter dem Jubel der Menschen von der Bühne. Zahlreiche Redner kritisierten an den geplanten Freihandelsabkommen Probleme wie intransparente Verhandlungen, die beabsichtigte Einführung von Sonderklagerechten für Konzerne sowie die mögliche Absenkung von Standards, was Umweltschutz, Verbraucherschutz sowie arbeitsrechtliche oder sozialstaatliche Normen angeht. "Wir kämpfen nicht gegen gemeinsame Standards, sondern gegen den Prozess, die niedrigsten Standards durchzusetzen", sagte etwa Hubert Weiger vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Nicht rechts, nicht nationalistisch, nicht anti-amerikanisch

Viele Redner stellten klar, dass dies keine Demonstration gegen Obama oder Merkel sei, sondern gegen die Inhalte der geplanten Handelsabkommen. Zudem betonten die Sprecher, dass nicht "Antiamerikanismus" die Triebfeder des Protests sei, wie ihnen von TTIP-Befürwortern immer wieder vorgeworfen wird. "Unseren Protest in die rechte Ecke zu stellen, wird keinen Erfolg haben", betonte der Demo-Organisator und frühere Bundestagsabgeordnete Uwe Hiksch: "Wir sind Internationalisten, die für die Menschen in den USA, in Europa und in Entwicklungsländern kämpfen." Die Protestierenden stünden solidarisch an der Seite der US-amerikanischen Bevölkerung und diese wiederum an der Seite der Demonstranten.

Trojanische Pferde

"Gegen TTIP zu sein ist nicht anti-amerikanisch", sagte auch die US-Verbraucherschützerin Lori Wallach bei ihrer Ansprache. "Ich bin US-Amerikanerin und ich bin auch dagegen." Die Deutschen hätten gute Gründe skeptisch zu sein. Für die Bürger beiderseits des Atlantiks seien die Risiken riesig und der Nutzen selbst bei großzügigsten Schätzungen nur minimal.

Freihandelsverträge würden seit dem nordamerikanischen Abkommen NAFTA (1994) als trojanische Pferde für Deregulierungsprozesse benutzt, erläuterte die Aktivistin der größten US-Verbraucherschutzorganisation Public Citizen. Allein in den USA seien seitdem bereits drei Milliarden Dollar Entschädigungen für Investoren gezahlt worden. Doch die Schutzstandards für Verbraucher und Arbeitnehmer seien dort genauso wie die Löhne in dieser Zeit immer weiter gesunken. "Die Leute in den USA haben die Schnauze voll von Freihandelsabkommen."

500 Lobbyisten treiben den Prozess in Washington voran

Dabei seien es gerade mal 500 Lobbyisten, die den TTIP-Prozess in Washington vorantreiben. Zwar sind die Vertragsinhalte von TTIP bislang öffentlich nicht bekannt, doch gebe es mit der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) schon eine Art Vorschau. "Und das ist eine wirklich sehr erschreckende Vorschau", sagte Wallach.

Erschreckend sei etwa das Instrument der Schiedsgerichte. Diese wurden bislang immer gegen Entwicklungsländer eingesetzt. Doch nun verklagt der Konzern "TransCanada" auch die US-Regierung auf Schadensersatz von 15 Milliarden Dollar, weil sie eine Pipeline in den USA ("Keystone XL") nach jahrelangen Protesten von Ureinwohnern, Farmern und Umweltschützern doch nicht zugelassen hat.

Aus Essig wird kein Champagner

Die in TTIP und CETA geplanten Investor-Staat-Klagerechte (ISDS) vor eigens dafür aufgestellten Schiedsgerichten seien nichts weiter als Sonderrechte für Großkonzerne, erklärte Hanni Gramann vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. "Ungewählte Interessenvertreter bekommen dadurch das Recht, Gesetze nach ihren Interessen hin zu prüfen." Das Bündnis sieht in dem Vorhaben die Einführung einer Paralleljustiz, die "Investoren" für unliebsame Gesetze finanziell entschädigt. Solche Klagen hingen beispielsweise wie finanzielle Damoklesschwerter über Plänen von Kommunen, zuvor privatisierte Unternehmen wieder in städtische Hand zu holen.

Die Schiedsgerichte seien Ausdruck der marktkonformen Demokratie und hebelten den Mehrheitswillen der Bevölkerung aus, sagte Gramann. Auch die Reformvorschläge von EU- Handelskommissarin Cecilia Malmström, die Schiedsgerichte durch einen Investitionsgerichtshof (ICS) zu ersetzen, seien lediglich eine Umbenennung - an der Grundproblematik ändere sich kaum etwas ("Abertausende Akteure könnten mit CETA klagen"). "Ein anderes Etikett macht aus einer Flasche Essig ja auch keinen Champagner." Freihandel habe wenig mit Freiheit zu tun, kritisierte Gramann grundsätzlich. Es gehe dabei viel mehr darum, Märkte ohne Regeln zu schaffen, auf denen sich dann nur die Stärksten durchsetzen. "Freihandel ist der Protektionismus der Mächtigen." Auch die Pro-TTIP-Argumente von steigendem Wohlstand und mehr Arbeitsplätzen seien lediglich "süßes Gesäusel".